Weggeworfene Erinnerungen

Wie angekündigt möchte ich Euch heute noch von meinem letzten Heimatbesuch erzählen – es geht jetzt so langsam mehr und mehr darum, mein Elternhaus leer zu räumen und auszusortieren. Das Dorf hatte wie jedes Jahr einen Haus- und Hoftrödel organisiert, an dem ich dann auch teilgenommen habe – das Wetter hat uns dabei ziemlich dazwischen gefunkt und somit hat sich das viele Aufbauen, liebevolle Dekorieren usw. kaum gelohnt.

Aber letztendlich bin ich doch viele Dinge losgeworden – indem ich mich radikal von ihnen getrennt habe. Man muss dazu noch mal sagen: meine Eltern waren beide Jäger und Sammler – und das mit einem echten Händchen für schöne Dinge. In unserem Haus befanden sich demnach bestimmt 1 Millionen Gegenstände, die mit Herz ausgesucht worden und somit mit einem stark emotionalen Gefühl belegt worden waren – zu Lebzeiten ein Segen, anschließend ein Fluch!

Denn die Aufgabe, sich nun von diesen ganzen Sachen zu trennen, weil man zuhause den Platz nicht hat, um ihnen ein neues Zuhause zu geben (und ich hab schon echt viel mitgenommen…), die fällt einem wirklich schwer. An diesen besagtem Wochenende in meiner Heimat fing es direkt im ersten Karton an: da lagen die Essteller drin, von denen meine Familie gefühlt jahrzehntelang zu Mittag gegessen haben. An sich wahrlich keine wertvollen und noch nicht mal wirklich schöne Teile. Ich meine von einem schwedischen Möbelhaus mit vier Buchstaben und das aus den 70ern oder so, mit vier verschiedenen Blumenmustern – so dass jedes Familienmitglied seinen eigenen Teller hatte und so auch immer der Tisch gedeckt worden war. Es hat in meinem Herzen ordentlich gerissen, als ich sie in den Container geworfen habe – da hat es auch nichts genützt, dass sie rein rational schon viele Macken hatten.

Und so ging es den ganzen Tag lang weiter – ich habe sehr viele Erinnerungsstücke aussortiert, die wirklich nicht meinem Geschmack entsprechen, die aus der Zeit gefallen sind und wohl tatsächlich niemand mehr haben mag – aber die seit meiner Kindheit schon immer dazu gehört haben. Dabei war ich echt rigoros und verhältnismäßig tapfer… bis zum Abend…

Da musste ich den Sessel, auf dem meine Mutter zuletzt ganz oft gesessen hatte, ein Stück beiseite schieben – und auf dem Boden lag ein Stück Rittersport Vollmilch-Schokolade.

Davon hatte sich meine Mutter in ihren letzten Lebensmonaten jeden Tag ein paar Stücke gegönnt – dieses ist ihr wohl runtergefallen, vielleicht sogar in ihrem letzten Moment, und es lag jetzt da wie ein süßer Gruß von ihr.

Mit meiner Beherrschung war es jedenfalls vorbei – ich hab mich neben das Schokoladenstück gehockt und um meine Kindheit geweint, die mit jedem Stück ein bisschen mehr im Container gelandet war. Aber es sind nur Gegenstände – die Erinnerungen kann niemand aussortieren und abgeben, die bleiben zum Glück für immer bei mir.

14 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. ja, liebe Uta, es sind nur Gegenstände, die haben unsere Eltern aber lange Zeit begleitet.
    Upps, jetzt fangen bei mir auch die Tränen wieder an zu kullern. 14 Jahre sind es her, als meine Mama starb. Tapfer habe ich wichtige Sachen, wie Papiere und andere Wertgegenstände eingepackt. Ins Auto gestellt, noch einmal in die Wohnung…. den Rest habe ich abholen lassen. Es ging nicht mehr.😪

    • Liebe Ingrid,
      lass sie laufen, die Tränen – es ist gut, wenn es rauskommt und Dein Kommentar zeigt dazu einfach, dass es ein Leben lang dauert, dieser Schmerz, der dann eben dazugehört.

  2. Liebe Uta, das kenn ich auch! Meine „Kindheit“ wurde das 1. Mal aussortiert als meine Eltern ihre Wohnung aufgaben und zu uns zogen.Eigentlich ein schöner Moment, doch wiederum tat es weh. Als meine Mutter starb haben wir Stück für Stück weggetan. Phillip ist hier mit Oma und Opa großgeworden. Er hatte einiges übernommen und mit nach HH in seine Wohnung genommen! Seinen Kinderteller etc.
    Auch ich habe zB. ein Kleid, Handtasche, Seidentuch von ihr behalten, das sind meine bleibenden Erinnerungen, und die im Herzen kann einem zum Glück niemand nehmen!!! Bei dem Stück Ritter kullerten mir auch die Tränen und jetzt beim Schreiben geh ich auch nochmals auf die Erinnerungsreise! lbg Deine Elli💋

    • Ja, auch ich habe ja ein paar schöne Erinnerungsstücke an mich genommen – besonders teuer ist mir ein Armreifen und ein Gürtel, den meine Mutter bereits in den 70ern getragen hat und der mich an so manchem Tag umfängt und begleitet.
      Fühl Dich feste umarmt

  3. …es sitzt so tief, wenn wir die gegenständliche Basis unseres Daseins zu Ende gehen sehen- und wir nicht mehr dran vorbeikommen, uns dem zu ganz stellen. Gut, dass du eine tolle Familie hast.

  4. Liebe Uta, ein sehr emotionaler Bericht und so schön geschrieben. Ich glaube, bei jedem kommen da eigene Erinnerungen hoch.
    Danke, daß Du solche Momente immer wieder mit uns teilst!

    Liebe Grüße aus dem Sauerland,
    Bettina

  5. Liebe Uta, Deine berührenden Worte sind mir so vertraut, denn die Gefühlsachterbahn habe ich nach dem Tod meiner über alles geliebten Mama vor 15 Jahren ganz genauso empfunden. Mit Mutti musste ich auch endgültig ein Stück meiner glücklichen Kindheit gehen lassen.
    Die liebevollen Erinnerungen aber sind unvergänglich und sehr wertvoll für mich!

    • Und ist es nicht auch tröstend, dass es scheinbar sehr vielen Menschen genauso geht? Das mindert zwar nicht den Schmerz, aber man fühlt sich nicht mehr so alleine damit

  6. Und noch eine, bei der die Tränen laufen … Mir ist letztens was Vergleichbares, allerdings an denkbar unerwarteter Stelle passiert: Ich war mit ein paar Freunden fröhlich beim Kneipensingen und auf einmal wurde – bitte nicht lachen 😉 – „Hoch auf dem gelben Wagen“ angestimmt … Ehe ich mich versah habe ich aus voller Brust die erste Strophe geschmettert und habe dann einen kurzen, aber sehr kräftigen Heulflash bekommen … Weil ich gemerkt habe, dass das ein Lied war, das mein Vater mit genau dieser Inbrunst laut und schief wie ich gesungen hat, wenn es ihm gut ging und er übermütig war :))) !! Gefühlt hatte da er aus mir gesungen … Unglaublich, was man/frau alles in sich trägt!! In großer Dankbarkeit grüße ich alle hier gerade zusammen Schniefenden!

    • Ich lache ganz sicher nicht, liebe Melanie… Musik kann so verbindend sein, ich verstehe Dich absolut! Vielen Dank, dass Du diesen besonderen Moment mit uns geteilt hast!

  7. Hallo Uta, mein Stück Ritter Sport waren 3 kleine Liebesbriefchen, die mir meine vor 2 Wochen verstorbene Frau am Anfang unserer Beziehung geschrieben hat. 16 Jahre standen sie auf meinem Nachttisch, einmal zu Beginn unserer Partnerschaft gelesen und dann jeden Morgen „gesehen“. Nun lese ich sie täglich, weine dazu und versuche, die Kraft für den Tag zu finden. Wir waren ein typisches 24/7-Paar, haben fast alles zusammen gemacht. Nun steht für mich die Erde still. Ich hoffe, der Herr gibt mir die Kraft, mit den wunderbaren Erinnerungen im Rücken, mich neu zu erfinden.

    • Lieber Karl-Heinz,
      schon als Deine Email kam, hat auch meine kleine Welt eine kurze Pause eingelegt. Ich kenne Susanne ja tatsächlich nur schriftlich, weil sie hier immer mal wieder tolle Kommentare geschrieben hat und durch unsere Korrespondenz nach dem Tod ihres Vaters – aber aus den Zeilen war immer zu lesen, was für ein wunderbaren Mensch sie gewesen ist!
      Ich kann nur ermessen, wie groß Dein Verlust ist – aber es beruhigt mich, dass Du um sie weinen kannst – und für mich steht es ja auch fest: Eure Liebe wird niemals sterben und Deine liebe Frau wird – wenn auch leider anders, als es Dir so vertraut war – für immer bei Dir sein.
      Du wirst noch Post von mir bekommen – fühl Dich bis dahin bitte unbekannterweise in den Arm genommen!

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