Phantom-Schmerzen

Ich sag´s mal frei raus: gestern Abend habe ich mich buchstäblich in den Schlaf geweint. Und das will ich Euch auch gerne erklären.

In den letzten Wochen ging es mir nicht sonderlich gut – allerdings auch nicht so richtig doll schlecht. Es war eher so ein „Nicht Fisch, nicht Fleisch“-Gefühl – es gab also in meinem Leben keinen konkreten Grund zum traurig sein, aber es konnte sich irgendwie auch keine gewohnte Fröhlichkeit und typische Uta-Hüpf-Stimmung einstellen. Es hat sich ein wenig so angefühlt, als würde ich nicht die Tage leben, sondern eher die Zeit mich – als würde ich fremdbestimmt durch ein Nebel-Tal streifen und die Richtung nicht mehr erkennen und wissen. Und ich musste immer öfter mal in einen Spiegel schauen, um zumindest mein Äußeres wahrnehmen zu können – innerlich hab ich mich nämlich meilenweit entfernt empfunden. Ich war so gar nicht bei mir, an meiner Seite und fand mich dazu auch ganz schön doof…

Dann kam letztes Wochenende und damit wurde es anders… denn von Freitag bis heute morgen hatte ich meinen Bruder zu Gast. Der wohnt ja bekanntlich in Rio de Janeiro – ist aber gerade auf Deutschland-Besuch. In der Vergangenheit habe ich schon mal darüber geschrieben, wieviel mir mein älterer Bruder bedeutet – und es wird mir bei jedem, viel zu selten stattfindenden Wiedersehen noch klarer.

Ich denke, es gibt niemanden auf der Welt, der mich und meine Seele bis in ihre hintersten dunklen Ecken so gut kennt, wie er – der mich ohne große Worte versteht, der über genau die gleichen Dinge Tränen lachen und sich von ähnlichen Sachen berühren lassen kann. Natürlich sind wir uns nicht in allen Lebensaspekten einig – aber trotz der fast 5 Jahre Altersunterschied begegnen wir uns auf Augenhöhe, mit ganz viel gegenseitigem Respekt, Achtsamkeit und einer großen Liebe.

Zeit mit meinem Bruder zu verbringen, bedeutet: mich wohl in meiner Haut und meinem Herzen zu fühlen. Ich mag mich selber, wenn ich mich durch seine Augen sehe.

Nun musste ich eben wieder Abschied nehmen – von meinem Bruder und dem schönen Gefühl im Bauch. Und die Phantom-Schmerzen, die mich seit seinem Fortgang ans andere Ende der Welt als nette Bekannte stets begleiten, haben wieder ihren Platz eingenommen.

Er fehlt mir halt in meinem täglichen Dasein – auch, wenn ich weiß, dass er mir unsagbar nahe ist.

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Meine liebe Uta,
    die Liebe zu Deinem Bruderherz hast Du so schön beschrieben, kann ich verstehen, obwohl ich keine Geschwister hab.
    Was man nicht hat fehlt einem bekanntlich auch nicht.
    Abschied ist immer schwer, besonders wenn die Lieben so weit weg sind.
    Apropo Phantomschmerz, den hab ich seit Wochen, mit der Befürchtung in Richtung Depression.
    Tret mich jeden Tag selbst in den Arsch!!!! In der Hoffnung, es liegt am Wetter,
    ich muss auf die Insel❤️🙏
    Machet juut, vlt geht bei Dir der Phantomschmerz in der Jeckenzeit weg, hoffe ich
    Alles Liebe Deine Elli💋

    • Ach, liebe Elli…. das klingt aber gar nicht gut – und das stimmt mich ja richtig traurig, was Du schreibst! Sich selber da immer wieder aufraffen ist sicherlich allen Respekt wert – aber hast Du auch schon mal drüber nachgedacht, Dir in irgendeiner Art und Weise Hilfe zu holen? Man muss ja nicht immer alles alleine schaffen!!!!!!!!!
      Und wenn ich irgendwas für Dich tun kann, dann lass es mich bitte wissen!

      • Danke Dir meine Süße, aber da muss ich durch.
        Mein bisheriger Fluchtweg Juist ist zZt. schwierig. Hier zu Hause die „Baustelle“
        kann ich nicht so einfach verlassen, kann meinen Mann nicht allein lassen.
        Im Sept. waren wir zusammen im Töwerland, es ging alles gut, aber um die Batterien wieder aufzuladen muss ich mal allein raus. Sonst hab ich wieder alles an der Backe, wie zu Hause.
        Ich will mich nicht beschweren, es gibt weitaus Schlimmeres.
        Also, Zähne aufeinander beißen und durch! Danke für Deine lieben Worte❤️
        Drück Dich und genieß Du Deine Sonnenstrahlen, darf ich auch nicht mehr wegen der Haut! 💋DeineElli

        • Liebe Elli.
          Habt Ihr denn Hilfe zuhause? Hat Dein Mann einen Pflegegrad und unterstützt Du ihn als Angehörige? Dann könnt Ihr nämlich Verhinderungspflege beantragen – sprich: eine Hilfe, die Dich ersetzt, wenn Du mal raus musst, um Deine Batterien wieder aufzuladen. Wäre das nicht mal eine Idee?
          Ich drück Dich

          • Danke liebe Uta,
            ja er hat Pflegestufe 2. Aber noch keinen Pflegedienst, versuche es noch selbst zu wuppen.
            Gestern war Kontrolle bzg. der Pflegestufe und die gab auch Infos über Verhinderungspflege, aber ich bin im Kopf noch nicht so weit.
            Er möchte mit nach Juist, evtl. machen wir das auch so lange es noch geht. Warte mal ab wenn die Sonne höher steht. Zum Glück ist er im Kopf noch fit. Danke Dir❤️💋

          • Da muss ich gleich mal den Klugsch…-Modus einschalten: es heißt seit 2017 Pflegegrad und nicht mehr -stufe. Das habe ich in der Ausbildung immer wieder zu hören bekommen, deswegen kann ich das jetzt so raushauen…. 😀
            Es ist ein hoher Anspruch, den Du da an Dich selber stellst und ich bewundere jeden, der seinen pflegebedürftigen Angehörigen zuhause versorgt. Da muss man sich selbst so oft hintenanstellen! Hol Dir bitte die Hilfe, die Du brauchst – keine falsche Scheu oder Bescheidenheit! Auch das machst Du letztendlich zum Wohle Deines Mannes – denn Du brauchst jede Menge Kraft!

  2. Liebe Uta, Dich und Deinen geliebten Bruder verbindet trotz der Riesenentfernung etwas, dass man nie mit Gold aufwiegen könnte und das ist ein bleibendes wunderbares Geschenk!!
    Dass es Dich tief berührt, kann ich gut verstehen. Jeder wieder am anderen Ende der Welt, seid ihr euch doch immer so vertraut nahe. Da sind Glück und Schmerz so dicht beieinander, das verbindet euch noch mehr.

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