Was uns von Kindern unterscheidet

In Zeiten wie diesen schiele ich immer etwas neidisch zu kleinen Kindern… besonders, wenn diese gerade einen unüberhörbaren Gefühlsausbruch in der Öffentlichkeit haben und sich ihre kleine Welt dabei einfach nur um sie dreht.

Wir Erwachsene mit all unseren Parallel-Universen, für die wir sorgen und um die wir uns mit-kümmern müssen, sind da oft so verhaftet in Contenance und unfrei im Umgang mit dem Chaos in unserer Seele.

Ich denke, im Moment spreche ich da wirklich für uns alle hier: dieses Jahr hat uns allen ganz schön was abverlangt. Nicht nur die allgemeine Situation, die einem immer mehr wie ein nicht enden wollender schräger Traum vorkommt und die bedrückende Stimmung, die man überall verspürt: ich kenne auch kaum jemanden, dem 2020 nicht ein paar üble Schicksalsschläge auf die Schultern gelandet hat. Ich persönlich habe nicht nur meinen Vater, sondern auch noch einen meiner Lieblingsonkel, einen Cousin und vor drei Tagen eine wunderbare Freundin verloren. Meine Seele ist einfach müde…

Und ich würde mich einfach gerne mal wie ein kleines Kind aufführen: einen Tag heulen, bis nichts mehr kommen mag – losbrüllen, bis die Ohren weh tun – mich auf den Boden werfen und um mich schlagen. Aber dieses Privileg eines Kindes hat man wohl einfach nicht mehr, wenn man erwachsen ist. Für mich bedeutet dieser Begriff „erwachsen“ nämlich in erster Linie, Verantwortung zu übernehmen: für sich in erster Linie und für seine Mitmenschen. Das heißt zwar nicht, sich über alle Maßen zusammennehmen zu müssen – aber wenn wir nun alle völlig ungehemmt unseren Gefühlen freien Lauf lassen würden, wäre das wohl auch irgendwie schwierig?!? Ob das nun gut ist – oder nicht: wir haben gelernt, uns zu kontrollieren, uns zurückzunehmen und uns zu verschließen.

Vielleicht sollten wir das Kind in uns zumindest ab und zu schreien, weinen, lachen, hüpfen… lassen!

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Hallo Uta,
    Dein Text hat mich wieder einmal nachdenklich gestimmt und ich dachte daran, daß ich es als Kind kaum erwarten konnte, erwachsen zu werden, alles selbst bestimmen zu wollen und viel besser machen, als die doofen Erwachsenen.
    Und heute ist es eher umgekehrt….so wie in Deinem Text;, was würde ich manchmal dafür geben, noch einmal so unbefangen frei zu sein zu können……
    Und dieser Text fiel mir dazu ein:

    Kinder sind Augen, die sehen,
    wofür wir längst schon blind sind.
    Kinder sind Ohren, die hören,
    wofür wir längst schon taub sind.
    Kinder sind Seelen, die sprüren,
    wofür wir längst schon stumpf sind.
    Kinder sind Spiegel die zeigen,
    was wir gerne verbergen.

    Liebe Grüße,
    Bettina

  2. Liebe Uta, danke für Deinen berührenden Beitrag. Dass Deine Seele nach all den schmerzlichen Erlebnissen jetzt einfach müde ist, kann ich so gut nachempfinden.
    Und ja es stimmt, wir Erwachsenen erlauben uns nicht mehr, scheinbar „unkontrolliert“ zu sein, einfach alles seelische Leid, manchmal auch unsere Wut und Enttäuschung aus uns heraus zu schreien. Warum eigentlich nicht?! Klar, aus Rücksichtnahme gegenüber unseren Mitmenschen, aber auch aus Sorge womöglich Kopfschütteln, verständnislose Blicke und Kommentare zu ernten, die uns zusätzlich verletzen könnten.
    Wenn meine Seele einfach ein „Ventil“ braucht, um mit dem Erlebten Schritt halten zu können, suche ich mir mit dem Auto ein „stilles“ unbeobachtetes Plätzchen“. Das finde ich bei uns im ländlichen Raum auf einer wenig befahrenen Landstraße: Fenster zu, Autoradio an, rechts ran fahren und schreien oder irre laut kreischen. Das hilft mir zumindest für den Moment.

    Den Verlust geliebter Menschen kann es nicht abmildern. Es braucht viel viel Zeit und Geduld, bis aus dem Wahnsinnsschmerz eine bittersüße Erinnerung wird.

    • Dass mit dem Schreien im Auto habe ich auch schon mehrfach gemacht, liebe Gabi – ist ein wirklich gutes Ventil. Ich habe nur jedesmal Angst, dass die Windschutzscheibe zerspringt…

      • …… oder meine Trommelfelle !
        Weißt Du noch, als Du uns von Deinem Megaschrei auf den Dünen außerhalb erzählt hattest? Ich würd‘ mich nicht mal auf dem Billriff so richtig trauen, dann wären alle Seehunde und Möwen sicher taub !!!!

  3. Hey Uta, klasse Deine Worte

    2015 hatte ich ähnliche Gedanken:

    Oft frage ich mich am Strand
    ob Menschen verstehen
    was sie verloren haben
    wenn sie nicht mehr Kind sein können
    zur Reife gehört auch die Unbekümmertheit
    das Loslassen
    bei aller Pflicht und Gewissenhaftigkeit
    das Alberne
    bei aller Sorgfalt
    das Verrückte, das Direkte
    bei aller Ernsthaftigkeit
    das Kind im Manne
    belächelt
    aber lächelnd
    vergnügt, schelmisch
    voller selbstvergessener Hingabe
    wenn dieses Kind stirbt, ist es
    wie bei allen Kindern die sterben

    ein bitterer, ja ein ganz bitterer
    Verlust

    Bernd Standhardt
    20.2.2015
    Rostock

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