Das Schloss vor meinem Herzen

Das Wochenende habe ich genutzt, um endlich mal wieder meine Mutter zu besuchen, die ich seit Weihnachten nicht mehr gesehen hatte. Es bedeutet ja schon immer eine halbe Tagesreise zu ihr hin – zumal ich immer den Zug nutze, weil mein klappriges Auto so weite Strecken höchstwahrscheinlich nicht mehr schaffen würde – und in diesen Zeiten überlegt man sich jedes Treffen ja wirklich dreimal…

Ich habe ein wahrhaft enges Verhältnis zu meinen Eltern und sie haben einen ganz großen Platz in meinem Herzen. Seit etwa einem Jahr hängt da ein Schloss vor, mit dem ich meine Gefühle und Empfindungen unter Verschluss halte. Ungefähr vor einem Jahr begann nämlich die Stärke meiner Eltern sehr stark zu bröckeln. Die beiden waren zu dem Zeitpunkt seit 51 Jahren verheiratet und hatten sich ein Konstrukt der gegenseitigen Unterstützung aufgebaut, welches lange Zeit prima funktioniert hat. Im April 2020 kam mein Vater dann aber ins Krankenhaus und ab diesem Aufenthalt war alles anders – er baute rapide ab, geistig und körperlich. An seinem Todestag Mitte Juli stand die endgültige Diagnose (ein bösartiges Lymphom) fest und damit hatten wir eine Erklärung.

In Bezug auf meine Mutter ist es tatsächlich so: mit ihrem langjährigen Weggefährten ist ein Teil von ihr mit gestorben. Sie ist in ganz vielen Bereichen noch die Mutter, die mich geboren, behütet und zu dem Menschen gemacht hat, der ich bin – aber es gibt eben nicht nur die große Lücke, die mein Vater sowieso schon hinterlassen hat.

Meine Ma hat stets über so eine starke und lebensbejahende Willensstärke verfügt, dass ich mich als ihre Tochter mit einigen Mühen davon buchstäblich freistrampeln musste – Mütter und Töchter sind ja eh oft so ein Kapitel für sich… und wir beide haben den Kampf der Liebe ordentlich ausgefochten, allerdings ohne anhaltende Verluste auf beiden Seiten. Es fällt mir nun unglaublich schwer, ihre schwindenden Kräfte anzunehmen. Meine Augen und meinen Geist kann ich davor nicht verschließen – aber eben mein Herz… doch ich weiß, wo der Schlüssel hängt und außerdem, dass ich nicht drumherum kommen werde, das schmerzende Türchen wieder zu öffnen.

14 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Sehr gut beschrieben Uta. So ähnlich geht es mir ja auch seit dieser Zeit.☹

    Schön, dass Ihr eine tolle Zeit zusammen hattet letztes Wochenende.

    Liebe Grüße Friederike

      • Ja, Mütter und Töchter sind fast immer „ein Kapitel für sich“. Im Umgang mit meiner leider nun schon seit 12 Jahren verstorbenen Mama kann ich das wirklich bestätigen. Wir beide hatten ein enges, sehr liebevolles Verhältnis zueinander. Es gab regelmäßig aber auch stressige Situationen für uns beide, nämlich immer dann, wenn ich mich als längst Erwachsene ihrem starken Willen („Ich meine es doch nur gut!“) nicht unterordnen wollte.
        Später habe ich daraus versucht zu lernen und arbeite noch immer daran, unseren beiden erwachsenen Töchtern nicht ungefragt laufend „gut gemeinte“ Ratschläge zu geben. Wir drei Frauen sind geradlinig und willensstark, haben aber einen guten Weg gefunden, tolerant und liebevoll miteinander umzugehen, das kommt uns allen zugute.
        In Gedanken bin ich sehr oft bei meinen Eltern, sie fehlen in unserem Leben. Das wird wohl für immer bleiben, so wie unsere große Liebe zueinander. Mit den Jahren spürte ich aber, dass allmählich aus dem so schmerzlichen Loslassen müssen und Vermissen eine große Ruhe und zufriedene Gelassenheit wuchs. Jetzt steht nicht mehr der Schmerz über den Verlust im Vordergrund, sondern ein lächelndes Zurückschauen und liebevolle Dankbarkeit für unser gemeinsames Leben miteinander.

        Liebe Uta, ich kann sehr nachempfinden, wie schmerzlich die Trauer um Deinen Vater und die große Sorge um Deine Mama ist. Eure Liebe zueinander wird Dir hoffentlich Kraft geben, Deiner Mama in dieser schweren Zeit beizustehen. Bitte pass‘ auch auf Dich auf. Liebe Grüße!

        • Vielen Dank für Deinen langen und so ehrlichen Kommentar, liebe Gabi. Wir scheinen ähnliche Töchter zu sein – insofern können wir wohl gegenseitig viel Verständnis und Verstehen empfinden.

  2. Uta, ich kann es gut verstehen, was du geschrieben hast. Ich denke, gerade in dieser Zeit und den ganzen Einschränkungen ist es doppelt schwer. Der Kopf versteht alles aber das Herz hätte es gerne anders.

  3. Ach Uta, ich kann es soooo gut nachvollziehen!!!
    Auch bei mir tut sich derzeit einiges in diese Richtung!
    Pass gut auf dich auf und nimm dir regelmäßige kleine Auszeiten!
    Alles Liebe
    Petra

  4. Liebe; ich kann nur anbieten an Deiner Seite zu sein…… IMMER wann Dir danach ist!
    wenn Du die Zeit für „gekommen“ hältst das „Kästchen“ zu öffnen und eine Freundin an Deiner Seite „richtig“ ist …….
    ich bin da!

  5. Meine liebe UTA, ich kann Dich so gut verstehen.
    Wenn nicht ich, wer dann?
    Meine Situation ist eine andere, wie Du weißt, aber der Schmerz und die Traurigkeit nimmt einem oft die Luft zum Atmen. Ich wünsch uns beiden die Kraft zum Durchhalten.
    Wenn Du reden möchtest, ich bin immer für Dich da!!!

    • Verlustschmerzen sind eben immer sehr schwer und sie begleiten einen wohl für immer – auch, wenn sie mit der Zeit verblassen.
      Ich wünsche uns beiden auch ganz viel Kraft und dass die liebevollen Erinnerungen irgendwann die Oberhand gewinnen!

  6. Ich drück dich aus weiter Ferne mal ganz ganz feste.
    Hoffentlich findest oder hast du einen Weg gefunden ,mit dieser Situation zurecht zukommen.
    Mach das was du für richtig hälst und was dir gut tut.
    Ganz liebe Grüße ❤️

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