Eine kleine Lebensweisheit

Morgen geht mein vierwöchiger Einsatz im Hospiz im Rahmen meiner Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin zu Ende. Es fällt mir schwer, dort Abschied zu nehmen – zum einen, weil ich mich wirklich sehr wohl und angekommen dort gefühlt habe, zum anderen, weil ich einige Gäste dort ja sehr intensiv betreut habe. Denen habe ich das zwar auch schon angekündigt und wir haben uns gegenseitig gesagt, wie traurig uns das macht. Wenn ich zum letzten Mal die betreffenden Zimmer betrete, wird es aber auch schwierig sein, die richtigen Worte zu finden: es ist ja klar, dass wir uns in dieser Welt sicherlich nicht mehr wiedersehen werden und ich suche noch nach ansatzweise passenden Sätzen/Wünschen, die ich dort lassen könnte. Wahrscheinlich ist es aber am besten, ich lasse es spontan geschehen und mein Herz sprechen.

Was ich in den vier Wochen gelernt habe, lässt sich ganz schön in meiner Lieblingspassage in dem Buch „Momo“ von Michael Ende ablesen:

Der alte Strassenkehrer Beppo verrät seiner kleinen Freundin Momo ein Geheimnis
„Es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Strasse vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man. Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedesmal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz ausser Puste und kann nicht mehr. Und die Strasse liegt noch immer vor einem. So darf man es nicht machen.
Man darf nie an die ganze Strasse auf einmal denken, verstehst Du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein. Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Strasse gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht ausser Puste. Das ist wichtig.“

(Michael Ende)

Also immer nur an den nächsten kleinen oder großen Hüpfer denken – dann kann die Strasse auch gerne so richtig lang sein.

6 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Liebe Uta,
    die Geschichte ist wunderschön – so einfach und doch so schwierig beim Umsetzen.
    Ich wünsche Dir, dass Du zum Abschied im Hospiz die richtigen Worte findest.
    Abschiede fallen mir immer sehr schwer – und oft drücke ich mich davor.
    Liebe Grüße
    Inge W.

    • Liebe Inge,
      kann ich gut verstehen – ich hasse Abschiede geradezu… kann damit gar nicht gut umgehen. Umso wichtiger war es mir, diesen Abschied im Hospiz ganz bewusst zu vollziehen. Daran kann man ja nur wachsen – erzähle ich im nächsten Artikel.
      Ganz liebe Grüße

  2. Liebe Uta, ich glaube, das ist eine ganz schwere Aufgabe. In der Gewissheit, diese tapferen, todkranken Menschen nie mehr wiederzusehen, hilft es tatsächlich nur, sein Herz sprechen zu lassen. Noch so gut überlegte und wohl meinende Worte vermögen hier nicht auszudrücken, was eine liebevolle Geste sofort vermitteln kann.
    Die Zeit im Hospiz wirst Du sicher nie vergessen und Dich an so manchen Gast trotz dessen schweren Schicksals erinnern. Vielleicht sogar mit einem Lächeln.

  3. Liebe Uta,
    als mein Großvater im Sterben lag, bat er mich an sein Bett. Er sagte mir, dass wir beide wüssten, dass wir uns auf dieser Welt nicht mehr sehen würden. Aber das sei ja nicht schlimm, denn er würde irgendwie immer bei mir sein, meinte er noch. Ich sagte nichts, sondern hielt nur still seine Hand, voll Vertrauen in seine Worte… Jahre später wurde mein Sohn geboren, und ich hatte das Gefühl, die Seele meines Großvaters sei wieder gekommen.
    Vielleicht musst du auch gar nichts sagen zum Abschied von deinen dir anvertrauen Menschen. Fühl in dich hinein und du wirst das Richtige machen. Diese Menschen verstehen dich auch ohne Worte und sind sicher dankbar, dass du für eine kurze gemeinsame Zeit ihren Weg mit ihnen gegangen bist. Reiche ihnen die Hand, das sind der Worte genug.

    • Was für eine wunderbare Geschichte von Deinem Großvater und Dir, liebe Margarete – für solche Geschichten brenne ich, weil sie immer wieder zeigen, dass die Liebe das Stärkste überhaupt auf Erden ist und das ist mir der größte Trost und Halt!

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