Tapferkeit

Wenn man in seinem Leben schon viele Klippen umschifft, viele Krisen bewältigt und Berge überhüpft hat – und wenn man dazu noch Stärke ausstrahlt, immer funktioniert, obwohl man sich am liebsten weinend wie ein Kind unter der Decke verkriechen und die Welt ausblenden würde – dann bekommt man oft den Ausdruck „Tapferkeit“ verliehen. Wie einen Orden kann man ihn sich dann an sein Seelen-Knopfloch stecken und ab und zu drüber polieren.

Laut Definition ist Tapferkeit unerschrockenes, mutiges Verhalten im Augenblick der Gefahr. Die Fähigkeit, in einer schwierigen Situation trotz Rückschlägen durchzuhalten. Sie setzt Leidensfähigkeit voraus.

Nicht umsonst heißt es, dass man Tapferkeit beweisen muss – was ja fast eine Art Leistungserbringung beinhaltet.

Vielleicht liest man es jetzt schon heraus: ich bin keine besonders gute Freundin dieses Begriffs. Für mich hat das immer den leisen Anschein, als würde man einem Kind, das gerade gefallen und sich böse das Knie aufgeschlagen hat, sagen: „Ist doch nicht so schlimm! Hör auf zu weinen!“ Und wenn dieses die Tränen runtergeschluckt hat, dann war es eben tapfer…

Bestimmt hat das Wort als solches einen grundsätzlich wesentlich positiveren Unterton – es ist ein ursprünglich altdeutsches Wort und hat seinen Ursprung eher in Begriffen wie „gewichtig“ oder „bedeutend“ – und wird heutzutage ja auch gerne Hand in Hand mit dem Ausdruck „Mut“ verwendet. In dem Zusammenhang find ich ihn auch angebracht und gut: wenn man seine Frau oder seinen Mann stehen kann – wenn man für sich, für andere Menschen oder eine gute Sache spricht – wenn man sich nicht alles gefallen lässt und beherzt in den kleinen und großen Katastrophen des Alltags nach Lösungen sucht: alles prima!

Für mich darf zu der Tapferkeit dann aber auch der Mut dabei sein, seine Schwäche, die man im Angesicht der Krise empfindet, einzugestehen. Es auch zu verkünden: „Ich habe da ein dickes Problem – und es geht mir gerade nicht gut!“

Ganz sicher haben wir alle massenhaft Tapferkeits-Medaillen verdient – weil wir unser Leben meistern, weil wir ganz viel Kraft in unser Mama-Papa-Schwester-Tante-Bruder-Tochter-Freund-Dasein stecken, weil wir tonnenweise Zeit, Liebe und offene Ohren verschenken – und wegen mir dann auch, weil wir die Tränen zulassen – die akuten und die, die wegen des blutigen Knies noch nicht laufen durften.

 

6 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Liebe Uta,
    weise Worte, die lass ich mal so stehen 😘🙏⭐
    Liebe Grüße von Dagmar ❤

  2. Du triffst mit Deinen Überlegungen zum Thema „Tapferkeit“ bei mir gerade total ins Schwarze, liebe Uta! Ich habe vorgestern zusammen mit einigen Kollegen ein ganz schreckliches Erlebnis gehabt. Ein Mitarbeiter ist vor unseren Augen an einem plötzlichen Herztod verstorben. Wir haben alles versucht, um Ihn wiederzubeleben. Aber es war schon zu spät. Erst dachte ich, ( wie eigentlich immer), ich könne das Erlebte schon mit mir selbst ausmachen. Bin ja krisenerprobt und ach so stark, tapfer und mutig. Bin ich auch, aaaaaber…..Dann haben wir eine geschulte psychologische Betreuung an die Seite gestellt bekommen und……. es tut wirklich gut und ist jetzt tatsächlich erleichternd für mich, in diesem geschützten Rahmen mal ganz schwach sein zu dürfen! Ist eine neue und sehr hilfreiche Erfahrung.

    • Liebe Lydia – es tut mir schrecklich leid, welche traurige Geschichte Du da erleben musstest. Das muss ja ein furchtbarer Schock gewesen sein. Ich finde es 1. echt klasse von Eurem Betrieb, dass er Euch den Rahmen zur Trauer und zur Aufarbeitung gibt und 2. sehr gut, dass Du Dich drauf einlässt!
      Friss es nicht in Dich rein – sprich drüber – auch mit Deinen Freunden, Bekannten, mit Deiner Familie.
      Ich drück Dich feste

  3. Danke für Deinen Zuspruch, liebe Uta! Tut gut! Ja, darüber reden ist wirklich wichtig. Aber dafür habe ich sowieso schon ein Gen mit ins Leben bekommen. Erzähle über alle meine Problem so lange, bis sie irgendwann immer kleinteiliger zu werden scheinen und ich vor Erschöpfung und Heiserkeit mich bald selber nicht mehr hören kann 🙂 Danach ist eher mal Rückzug und ein bisschen Schweigen für mich angesagt.

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