Unsere Generation

In meiner Kindheit gehörte der Satz: „Die Zeit rennt so schnell“ den alten Menschen – wenn meine Großmutter das zum Beispiel gesagt hat, dann haben meine kindlichen Ohren das so für sie akzeptiert, aber nachvollziehen konnte ich den Satz nicht. Besonders, wenn so ein wunderbarer Sommertag schier endlos zu dauern schien oder wenn diese jetzige Zeit vor Weihnachten einem unglaublich lang vorkam.

In der jetzigen Zeit höre ich nun sogar meine 19jährige Tochter ständig sagen: „Boah, die Zeit vergeht so schnell – ich komme gar nicht mehr mit.“ Und ich kann sie – nicht nur wegen meines fortgeschrittenen Alters – nun wirklich verstehen. Denn ich glaube, mittlerweile geht es uns mit diesem Gefühl allen sehr ähnlich und es hat nichts mehr damit zu tun, dass man seine eigene Lebenszeit ablaufen fühlt.

Unser Dasein ist buchstäblich so „schnell-lebig“ – man kommt fix von einem Ort zum anderen, man hat schnell Kontakt mit seinen Mitmenschen (ohne, dass man sich zum Beispiel wie früher zum telefonieren verabredet hat), man erledigt seine lästigen Dinge wie Steuererklärung, Behördenangelegenheiten oder ähnliches mal eben online, man bekommt alle wichtigen und leider auch alle furchtbar unwichtigen Gegebenheiten dieser Erde im Vorbeigehen auf verschiedenen Plattformen präsentiert und wenn ich etwas nicht weiß, muss ich nicht lange recherchieren, sondern frage Google, Alexa oder KI, die mir dazu direkt noch rasch einen vollständigen Text schreibt.

Vermeintlich ist unser Leben um vieles leichter geworden – aber ich glaube, es ist für unseren Geist und unsere Seele auch gleichzeitig viel anstrengender geworden. Weil man wirklich nicht mehr mitkommt und sich von den Entwicklungen überholt fühlt. Zumindest unsere Generation, die es ja noch anders kennt.

Dazu habe ich letztens diesen Text gelesen und musste oftmals bestätigend nicken:

Man nennt uns die Generation Dazwischen.
Wir sind die letzten Kinder, die draußen spielten, bis die Straßenlaternen angingen. Unsere Namen hallten durch die Straßen, wenn Mütter uns zum Abendessen riefen.
Wir sind die Kinder mit aufgeschürften Knien, Kassettenrekordern und ruhigen Sonntagen.

Wir sind die Brücke.
Geboren zwischen etwa 1955 und 1985, aufgewachsen in einer Welt, die sich noch mit der Geschwindigkeit eines Fahrrads drehte, nicht eines Breitbandanschlusses.

Wir wussten, wie man sich langweilt.
Und in dieser Langeweile lag etwas Magisches.

Wenn es regnete, saßen wir auf dem Teppich und hörten das leise Knistern einer Schallplatte, bevor die Musik begann.
Wir sahen den Regentropfen beim Rennen über die Fensterscheibe zu, das war unser High Definition.

Unsere Nachmittage gehörten einem Ball, ein paar Freunden und einem Stück Gehweg.
Wir bauten Höhlen aus Decken und Kartons, fuhren auf Bonanza-Rädern, die Knie voller Pflaster, das Herz voller Geschichten.

Wir sind die letzte Generation, die den süßlich-chemischen Geruch des Spiritusduplikators kennt – der Duft von Schulaufgaben und Elternbriefen.
Unsere Hefte trugen Eselsohren, und der Füller hinterließ kleine blaue Monde in den Rändern.

Wir kannten das Warten.
Wir schrieben Briefe, auf richtigem Papier, mit Tinte.
Wir falteten sie, steckten sie in Umschläge, leckten die Marke an und warteten. Tage, manchmal Wochen.
Und wenn die Antwort kam, lasen wir sie wieder und wieder, bis wir jedes Wort auswendig wussten.

Wir telefonierten an der Wand, mit Kabel.
Wenn wir jemanden anrufen wollten, mussten wir zuerst höflich mit den Eltern sprechen.
Wir kannten Telefonnummern auswendig – ein kleines, geheimes Gedächtnis unserer Freundschaften.

Wir sind die Generation der Musik.
Wir saßen stundenlang am Radio, die Finger über „Record“ und „Play“, um unseren Lieblingssong ohne das Gerede des Moderators zu erwischen.
Jede Kassette war ein kleines Kunstwerk. Ein Liebesbrief in Tönen.

Wir wuchsen auf mit Vertrauen, nicht mit Passwörtern.
Freunde standen vor der Tür, sie schrieben keine Nachricht: „Bin da.“
Wir kannten unsere Nachbarn. Türen blieben unverschlossen.
Dinge durften kaputtgehen und wurden repariert.
Wir flickten Hosen, schraubten Toaster auf und gaben Beziehungen eine zweite Chance.

Wir sahen den Wandel.
Schwarz-Weiß wurde Farbe. Drei Programme wurden zu vielen.
Wir spielten Pong, tipp­ten auf dem C64 und hörten das Kratzen eines Modems, das uns in eine neue, unsichtbare Welt führte.

Wir lernten, auf Tastaturen zu schreiben, aber unsere Unterschrift stammt noch aus dem Schreibunterricht mit Füller.
Wir wissen, was „die Cloud“ ist, aber in unseren Schuhkartons liegen Fotos mit handgeschriebenen Daten auf der Rückseite.

Heute sehen wir Kinder, deren Gesichter vom Licht der Bildschirme leuchten und fragen uns manchmal leise, was sie wohl verloren haben, während sie alles andere gewonnen haben.
Manchmal vermissen wir diese Langsamkeit, ohne es zu sagen.
Nicht, weil alles damals besser war,
sondern weil wir Zeit hatten, das Leben zu spüren, bevor es weiterlief.

Wir sind die Generation der echten Gespräche.
Von Küchentischen, die nach Kaffee und Zigaretten rochen.
Von Münztelefonen, Butterbrotdosen und langen Sonntagen ohne Eile.

Wir haben gelernt, dass Glück keinen Filter braucht.
Dass Nähe kein WLAN-Signal ist, sondern ein Blick.
Dass Erinnerungen nicht auf Servern liegen, sondern in uns.

Die Welt ist schneller geworden. Greller. Lauter.
Und manchmal kälter.

Aber in uns bleibt die Ruhe.
Wir sind die Brücke zwischen Gestern und Heute.
Wir sind die Übersetzer.
Man sieht in uns vielleicht die Vergangenheit,
doch wir sind die Anker. Wir erinnern uns an das Warum.

Die Vergangenheit war nicht perfekt.
Aber sie war echt.
Und das ist eine Erinnerung, die es wert ist, bewahrt zu werden.
Und wir waren dabei.

Das hier ist kein Rückblick; es ist eine Erinnerung an uns.
An eine Zeit, in der das Leben langsamer war und die Welt noch nach Regen, Gras und Schulkreide roch.

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Hallo Uta,

    genau so ist!
    Ich bin Baujahr 1962. Bei Unterhaltungen mit meinen Kindern, muss ich leider so oft mit ihren Handy’s konkurrieren. 😉

    Mal schauen ob an Weihnachten das gute alte Monopoly eine Chance bekommt. 🙌

    Woher hast du diesen tollen Text, bzw. wer ist der Autor?

    Deiner Familie und dir schöne Weihnachten und ein schwungvolles Jahr 2026.

    Nadja 🎄🎄🎄

    • Liebe Nadja,
      mich hat der Text auch sehr berührt – als ich ihn meinem Mann vorgelesen habe, musste ich sogar ein paar Tränchen vergießen.
      Ich habe ihn auf Facebook gefunden – leider stand da kein Auto dabei, sonst hätte ich sie/ihn natürlich dazu geschrieben.
      Ich drücke Dir ganz fest die Daumen, dass es zu Weihnachten Monopoly und noch mehr tolle gemeinsame Zeit mit Deinen Liebsten gibt!
      Von Herzen kommende Grüße

  2. …… „sondern weil wir Zeit hatten, das Leben zu spüren, bevor es weiterlief!“ Genauso ist es auch! Danke für diesen Text, Uta, den werde ich mir ausdrucken und hin und wieder in auch meine „frühere Zeit“ abtauchen und es bewusst genießen!!!!!!
    Dir und allen hier eine besinnliche Adventszeit mit entspannt „langsamen“ genussvollen Momenten, ganz bei sich und seinen Lieben! :-)))))))

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