Gänseblümchen oder Veilchen

Ich habe eine Geschichte gefunden, die mich zum Nachdenken gebracht hat – zwar nur kurz, denn recht schnell war mir klar, wo ich gedanklich stehe und hüpfe – aber ich fand die aufgeworfene Frage echt spannend und möchte Sie Euch am Ende auch stellen:

Ein Stück vom Glück

Einmal trafen sich ein Veilchen und ein Gänseblümchen in einem Buch mit Gedichten. Ein kleines Mädchen hatte vor langer Zeit die beiden Blümchen auf einer Frühlingswiese gepflückt und in das Buch zum Trocknen gelegt. Und trocken, das waren sie nun auch im Lauf der Jahre geworden. Trocken und zerbrechlich. Ihre Farben strahlten nicht mehr leuchtend blau und weiß. Die Jahre im Dunkel hatten ihre Blüten erblassen lassen. Doch sie waren am Leben.
„Was haben wir es doch gut in unserem Heim!“, brach das Veilchen eines Tages das Schweigen. „Viele Worte des Zaubers haben mir die Stimmen der Buchstaben gesungen. Viele Bilder haben sie mit ihren Versen gemalt. In was für einer schönen Welt wir doch hier leben!“
Das Gänseblümchen zögerte. Dann sagte es leise: „Es ist eine dunkle Welt voller Illusionen. Das Leben leben wir nur in Gedanken und Träumen.“
„Aber man kennt uns“, begehrte das Veilchen auf. „Viele Lieder und Gedichte erzählen von uns.“
„Und?“, fragte das Gänseblümchen. „Was hat es dir genutzt?“
„Was willst du?”, erwiderte das Veilchen. “Wir haben überlebt. Unsere Kollegen sind tot. Seit vielen Jahren schon. Eigentlich seit Ende unseres Frühlings damals.“
„Das Gänseblümchen lachte bitter auf. „Aber sie haben die Sonne gesehen, den Himmel, den Regen, die Tropfen des Taus. Sie haben der Musik der Gräser im Winde gelauscht, dem Brummen der Käfer und Summen der Bienen. Und manchmal haben sie das Lachen der Kinder gehört und ein Stück vom Glück gespürt.“
„Ach ja“, meinte das Veilchen, „dieses Stück vom Glück kann ein ganz kleines, ein ganz kurzes sein. Es ist vergänglich so wie das Leben. In diesem Buch aber sind wir sicher. Uns geht es gut. Es geht nichts über ein ruhiges Leben in Sicherheit.“
„Aber das Leben. Ich habe es nicht gesehen“, sagte das Gänseblümchen.
Dann schwieg es wieder und kehrte zu seinem Traum von der Sonne, die mit ihren Strahlen zärtlich eine Frühlingswiese küsste, zurück.

© Elke Bräunling

Im Prinzip kann ich beide Haltungen verstehen – den Drang nach Sicherheit, Halt und Beständigkeit an einem ruhigen Ort, ohne viel Aufregung – aber eben auch ohne viel Leben. Denn dahin tendiert ja die andere Blume – zum puren und prallen Dasein mit all seinen Auf und Abs, mit den vielen Einflüssen und Auswirkungen.

Nach kurzem Überlegen wusste ich es sehr deutlich: ich bin ein Gänseblümchen. Ich brauche das Leben mit all seinen Facetten, seinen Unwägbarkeiten, Gefahren und schwierigen Momenten – weil ich ohne dies eben auch nicht die Momente der Sonne, der bunten Lebendigkeit, der Wärme und des Hüpfens hätte.

Welches Team seid Ihr – Gänseblümchen oder Veilchen?

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ganz klar und gerne: GÄNSEBLÜMCHEN!!!! Wäre ich das Veilchen, so hätte ich ja nie mit allen Sinnen die Vielfalt des Seins er“leben“ und spüren dürfen. Mein „Salz in der Suppe“ sind gerade die vielen, oft auch unverhofften, teils sogar unbequemen Lebenskaleidoskop-Schnipsel.

  2. Ich bin zwar schon sehr auf Sicherheiten bedacht, aber das Veilchen ist mir dann doch zu fade…also schließe ich mich den Gänseblümchen an, die gefallen mir auch optisch viel besser😊🥂…

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