Das Öffnen der Schatztruhe

Vor einiger Zeit habe ich Euch einen Artikel über meine „Schatztruhe“ geschrieben – so nenne ich den Bereich in mir, in den ich den Schmerz meiner Vergangenheit gesteckt habe. In dem meine ungeweinten Tränen liegen, in dem ich all die Angst, die Verzweiflung und die Trauer aus der schweren Zeit verwahrt habe.

So abstrakt das natürlich auch klingt, ich weiß ganz genau, wo in meinem Körper sie zu finden ist. Das fühlt sich so plastisch an, dass es mich kaum wundern würde, wenn ein Gerichtsmediziner bei einer späteren Obduktion von mir zu seinem großen Erstaunen in seinem Brustkorb genau diesen Anblick von oben hätte. Aber sicherlich bin ich kein anatomisches Wunder, sondern diese Truhe aus Holz und Gold steht nur symbolisch für meinen großen Schmerzpunkt, der sich immer mal wieder bemerkbar macht.

Oft kommt mir dann dieser Gedanke, den man auch sonst gerne in so einem Zusammenhang hört: „Das hast Du noch nicht verarbeitet – da musst Du mal ran!“

Letztens habe ich mich mit einem wunderbaren Freund genau darüber unterhalten und der meinte dazu etwas sehr befreiendes: Dass es eben Dinge, Verletzungen, Erlebnisse usw. im Leben gibt, die kann man nicht „verarbeiten“…

Ich war zunächst ganz verblüfft und musste seinen Satz erst mal in meinem Kopf wirken lassen, zurecht ruckeln und neu in mein Weltbild reinsetzen: und es passt – es sieht vielmehr jetzt heller und bunter aus.

Denn ich habe mich vorher immer gefragt: den Inhalt meiner Schatztruhe verarbeiten – wann denn? Wie und vor allem womit? Verarbeiten klingt so nett praktisch, so handfest – und man selber dagegen dann so unfähig, unbegabt, ungeschickt, wenn man nicht in der Lage dazu ist, diese Aufgabe dann „einfach mal zu erledigen“.

Es gibt kein Seelen-Werkzeug – keine Mutter, die man wieder festzieht, keine Schraube, die zu locker sitzt und wo man ausbessern kann, es gibt keine Stelle, die nur ein paar Tropfen Öl braucht und dann läuft das Leben wieder wie geschmiert.

Und Erinnerungen, alte schmerzvolle Empfindungen, Narben auf der Seele kann man auch nicht kleinhacken, vergraben, umnähen, wegputzen oder anders zusammensetzen – sie sind und bleiben, was sie eben sind: die eigene Vergangenheit.

Im nächsten Artikel erzähle ich Euch, warum die Schatzkiste deswegen einfach sinnvoll ist und warum ich nicht darauf vertraue, dass die Zeit alle Wunden heilt.

24 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. So ist es, die Zeit heilt zwar die Wunden, aber Narben bleiben und gehören zum Leben! Du hast so viel inzwischen erlebt, teils abgeharkt, und meisten tun die Narben auch nicht weh, man hat sie einfach. Alles Liebe meine Liebe❤️

  2. Die Zeit heilt nicht die Wunden, aber sie hilft uns mit ihnen umzugehen und einen Weg zu finden damit zu leben. Auch wenn die Wunden und Verletzungen zum Leben gehören und sicherlich nicht vergessen werden können, sind sie im verschlossenen Kästchen gut aufgehoben. Lebe im jetzt und freue und plane die Zukunft, das ist mein Ziel jeden Tag, denn das kann man beeinflussen. Die Vergangenheit war ein Lehrmeister und als solches versuche ich sie zu sehen. Bin aber ehrlich, klappt bei mir auch nicht immer.

    • Ich finde, das strahlst Du absolut aus: soviel Positives, Strahlendes, Warmes – und dahinter blitzt dann oft eine tiefe Ernsthaftigkeit hervor, wie sie einem nur gelebtes Leben schenken kann

  3. Ja der Spruch -Die Zeit heilt allen wunden – ist nicht immer richtig die Narben bleiben du hast in ja auch schöne Dinge erlebt halte diese in deinen Gedanken fest und wenn nie Narben dich mal wieder ärger tun denke an die schönen Dinge die du und deine Kinder erlebt habt.
    Nehme den Spruch dir zu Herzen den ich dir gesendt habe

    • Lieber Markus,
      ja – leider verblassen die schönen Erinnerungen ja viel schneller als die schlechten – und wenn diese dann wieder anklopfen, erst Recht! Aber Du hast Recht: Deinen Spruch werde ich mir zu Herzen nehmen. Vielen Dank nochmal dafür

  4. Liebe Uta, auch ich habe solch ein „Gelebtes-Leben-Seelenkino“ mit leidvollen, schmerzhaften und tränenschweren Filmen, aber auch solchen voller Hoffnung, freudiger Hüpflebenslust, heiterer Gelassenheit und auch Dankbarkeit. Alle gehören sie zu meinem Leben, ob ich nun will oder nicht. „Weg geschlossen zum späteren Aufarbeiten“ habe ich keine der Erfahrungen. Mir hat es sehr geholfen, ohne zu verdrängen einfach abzuhaken, was an Schlimmem im Nachhinein nicht mehr zu ändern war. Ich habe es (er)leben müssen und daraus gelernt, mich stärker auf mich und die guten und schönen „Lebensfilme“ zu konzentrieren. Damit kam wieder eine Leichtigkeit zurück, die mir immer noch gut tut und hilft, den Blick weiterhin zuversichtlich und auch gelassener in die Zukunft zu richten.

    • Liebe Gabi,
      da spricht so viel weise Fröhlichkeit und erfahrene Lebensfreude aus Dir – find ich immer wieder total klasse! Man liest ja heraus, dass Du es auch nicht immer einfach hattest – aber darin schwingt null Bitterkeit, sondern oft fast Dankbarkeit für diese Erfahrungen, weil Du sie genutzt hast, um Deinen richtigen Weg zu gehen!

  5. Dein Text spricht mir aus dem Herzen, liebe Uta ! Genau das sind WIR und das dürfen wir auch sein: Menschen, die im Laufe ihres Lebens die ganze Palette an Gefühlen durchackern …alles Wundervolle und eben auch “viel Beschissenes”! Manchmal denke ich, mein Herz müsste eigentlich immer größer und ausgedehnter werden durch all die vielen und wuchtigen Erfahrungen, die sich in ihm schon so angesammelt haben. Wie ein prall gefüllter Einkaufsbeutel. Da liegt die ganze gelebte Freude dicht an dicht mit allen Literflaschen voll Tränen und all den dunklen Schmerzsäcken – ich fand diese Idee mit dem sogenannten “Verarbeiten” auch immer sehr fragwürdig. Eher kommt es mir machbar vor, dass ich dieses bunte Sortiment in mir so akzeptieren lerne, wie es eben da ist. Nix wegleugne oder beschönige…… und dann versuche, meinen Blick auf das zu richten, was an Schönem noch vor mir liegt.

    • Sehr schönes Bild, liebe Lydia – ich sehe Deinen Einkaufsbeutel quasi vor mir! Bei mir hat sich das gedanklich eher in eine Halle mit Lebensmitteln verwandelt – aber so ne Art Hofladen mit netten Menschen und eben auch etwas unschönen Ecken, die man versucht, zu kaschieren. 🙂
      Mit Deinen letzten Sätzen nimmst Du mir schon einiges voraus, was ich im nächsten Artikel sagen möchte. Aber ich werde es nochmal auf Uta-Art formulieren – merke ja: ich stoße da auf absolut offene und wissende Ohren!

  6. Bin schon mal gespannt, wie DU es ausdrücken wirst, liebe Uta! Mir ist es nämlich gar nicht leicht gefallen. Ist eben auch nicht einfach, etwas so Schwieriges leicht auszudrücken 😉 Gerade kommt mir da noch ein, für mein Gefühl passendes anderes Bild in den Kopf: Ich denke gerade an sowas wie meine innere Werkstatt, in der ich meine ganzen ramponierten, abgeschrammten “Lebensgerätschaften” aufbewahre. Von Zeit zu Zeit schaue ich mir die angeschlagenen Teile an und überlege, wozu sie noch brauchbar sind. Sie sind in ihrem elenden Zustand doch trotzdem so schön – und Wegschmeißen geht nicht. Sie würden sicher aus dem Sperrmüll heraus sich bei Nacht und Nebel wieder auf den Weg zu mir zurück machen. Vielleicht kann ich sie ja aufarbeiten, neu anstreichen, ihnen ein Gedicht widmen oder sie einem ganz neuen Nutzen zuführen… Stuhlbein abgebrochen – was soll’s ! Dann wird eben mit 3 Beinen geschaukelt, oder ?!!

    • Da kannst Du Dir ja ungefähr vorstellen, wie ich da oft an meinem PC sitze, auf der Unterlippe kaue und nach den passenden Worten und der Formulierung suche, die meine Gedanken einigermaßen trifft… 🙂
      Die innere Werkstatt find ich auch ein tolles Bild – meine Vorstellung ist allerdings eine andere. Mehr dazu morgen 🙂

  7. ???…. grübel…. vielleicht was Entspannteres als Werkstatt ? Nicht schon wieder was mit Arbeit ! 🙂

  8. Hallo Uta,

    ich denke auch, dass ich einige Sachen in meinem Leben nicht abarbeiten kann. Ich kann aber versuchen, sie in mein Leben zu integrieren und damit zu leben – was schwer genug ist. Weißt du, was ich meine? Und eben nicht vergessen, dass zum Leben Höhen und Tiefen gehören und das Schöne nie aus den Augen verlieren.

    Ich drück dich

    • Ja, ich weiß, was Du meinst, liebe Ute – und ich kann Dir nur beipflichten… es gibt einfach Dinge, die wird man nicht mehr los und man kann nur versuchen, mit ihnen zu leben. Und Du weißt leider allzu gut, wie schwer das ist!
      Ich drück Dich auch!

  9. Liebe Uta und alle anderen,
    ich bin auch der Meinung, dass frau nicht so sehr im „was-wäre-gewesen-wenn“ verharren sollte. Ganz deutlich kann ich das bei einer Freundin sehen, die gezwungen war (und zum Teil noch ist), mit immer wieder anderen Therapeutinnen ihr Trauma aufgrund von Missbrauch im Kleinkindalter zu schildern. Alle meinen, sie könnten ihr durch das immer wieder „Durchkauen“ helfen… ich sagte zu ihr, dass das ganz schrecklich ist und durch das dauernde Drüberreden nicht besser wird. Sie mag auch nicht mehr darüber reden – aber nun wurde sie während ihrer Reha gezwungen, das alles im großen Kreis vor Studierenden zu erzählen. Einfach schrecklich!!!
    Ich wünsche uns Allen, dass wir durch das Hüpfen und Mut zusprechen lernen, uns am Leben täglich neu zu erfreuen.
    Sonnige Grüße
    Inge W.

    • Liebe Inge,
      wie kann man denn dazu gezwungen werden, so etwas öffentlich zu erzählen? Das ist ja schrecklich…. Deine arme Freundin!!!!! Das ist doch IHRE Vergangenheit und damit kann sie doch „machen“, was sie möchte… bin gerade etwas geschockt!

      • gezwungen deshalb, weil sie wegen Berufsunfähigkeit eine Reha in einer Psychosomatik machen musste. Ansonsten hätte sie keine Rente erhalten. Das ist leider schlimm, aber die Kliniken arbeiten oft mit der Uni zusammen und „müssen“ ihre „Fälle“ dort vorstellen. Und Krankenkasse streicht das Krankengeld, wenn frau nicht „mitarbeitet“ 🙁

        • Verstehe… aber nicht, warum man dann in der Reha dazu gezwungen wird, über sich zu sprechen – wenn man das nicht möchte. Das halte ich persönlich fütr einen echt unguten Therapieansatz

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