Arbeitstränen

Normalerweise stecke ich die vielen Schicksale, die ich während meiner praktischen Ausbildungszeit auf den Stationen so miterlebe, ganz gut weg. Man lernt ja mit der Zeit, eine emotionale und professionelle Distanz gegenüber den Patienten aufzubauen. Das klappt natürlich mal mehr und mal weniger: der Schmerz, die Luftnot, das Ringen um Gesundheit oder auch das Sterben… ich versuche, es nur so nah an mein Herz zu lassen, dass ich es nicht mit nach Hause nehme. Denn sonst könnte ich den späteren Beruf der Gesundheits- und Krankenpflegerin auch nicht ausüben.

Heute allerdings bin ich emotional so sehr an meine Grenzen gekommen, dass ich es aus dem Patientenzimmer noch über den Flur geschafft habe, aber dann im Dienstzimmer meinen Tränen freien Lauf lassen musste. Seit gestern liegt auf der Station ein Patient in Begleitung seiner Ehefrau. Die Diagnose, die er seit gut einem Jahr hat, könnte viel schlimmer nicht sein: ALS.

Die amyotrophe Lateralsklerose ist eine nicht heilbare degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems. Dabei kommt es zu einer fortschreitenden und irreversiblen Schädigung der Nervenzellen, die für die Muskelbewegungen verantwortlich sind. Symptome sind spastische Lähmungen oder Muskelschwäche bis hin zu -schwund, Gang-, Sprech- und Schluckstörungen bis es im letzten Stadium (meist so nach 3-5 Jahren) zu einer Lähmung der Atemmuskulatur kommt und der Patient erstickt.

Ich war heute mit meiner mich anlernenden Krankenschwester in diesem Zimmer, um der Ehefrau bei der Lungenentzündungsprophylaxe zu helfen. Diese halbe Stunde hat mich so sehr beeindruckt: trotz dieser endgültigen, schrecklichen und todbringenden Krankheit haben beide ganz viel gescherzt und gelacht. Es war eine richtig fröhliche Stimmung im Raum, denn das Paar hat eine Stärke, Ruhe und Liebe zueinander ausgestrahlt, wie ich es selten erlebt habe.

Es hat mich ganz tief berührt, wie die beiden miteinander umgehen, wie sie die unabwendbare Situation gemeinsam meistern und mit ganz viel Wärme und Kraft den letzten Teil ihres Weges zusammen verbringen wollen. Und ich bin dankbar, dass ich Ihnen begegnen durfte – zwei Menschen, die in Angesicht so einer schlimmen Krankheit so viel Lebensfreude in sich tragen.

14 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Meine Liebe, ich kann Dich so gut verstehen, hab eine beste Freundin im letzten Jahr an dieses ScheissALS verloren!
    Ein halbes Jahr vor ihrem Tod bin ich zu Ihr nach Italien geflogen. Wir wussten beide, es wird ein Abschied für immer. Ich hab erlebt wie liebevoll sich Ihr Mann und eine Pflegerin um sie gekümmert haben, trotzdem war es schrecklich mit ansehen zu müssen wie ein Mensch mit dieser Krankheit leidet. Unvorstellbar, es ist ein Kampf mit der Gewissheit zu sterben. Man wünscht sich von Herzen einen schnellen Tod. Sie hat 3 Jahre mit aller Kraft sich dagegen gewehrt. Ich wünsche Deinem Patienten eine schnelle Erlösung, so hart das klingen mag. Dir viel Kraft und lass es nicht zu nah an Dich heran. Alles Gute für ihn🙏

    • Vielen Dank, liebe Elli für Deine ehrlichen Worte! Ich kann mir gut vorstellen, dass es nochmal etwas ganz anderes ist, wenn man dem Betroffenen so nah steht… Und da ich ja auch schon eine meiner besten Freundinnen gehen lassen musste, weiß ich, was für ein Verlust das ist.
      ALS ist dabei aber nochmal besonders tückisch – eben, weil man keine Chance auf Heilung sieht. Insofern kann ich Deinen Wunsch für meinen Patienten absolut nachvollziehen und unterstützen – ja, auch wenn es mehr als hart ist!
      Ich drück Dich

  2. Und wieder muss ich sagen, dass ich den größten Respekt vor Menschen wie Dir habe, die diesen Beruf als Berufung sehen und ausüben. Ich hätte diese Distanz nicht, einen Weg zu finden, mit den vielen unterschiedlichen Schicksalen umzugehen. Danke, dass du diesen Menschen hilfst und beistehst. Danke an alle in diesem Berufsfeld.
    Zu den beiden Menschen auf deiner Station kann ich nur sagen, meine Bewunderung, dass sie das Schicksal mit Humor nehmen und das Beste daraus machen. Diese Kraft muss man auch erst einmal haben.

    • Vielen Dank, liebe Nici – ich weiß gerade gar nicht, wie ich mit Deinem Respekt umgehen soll – denn mit den Gedanken im Hinterkopf an diese beiden so tollen Menschen, die ich heute ja erlebt habe, erscheint mir mein Tun und Handeln doch sehr klein…
      Aber ich danke Dir dennoch – denn natürlich tut es auch gut, das zu lesen!

  3. Ich weiß gar nicht was ich dazu schreiben soll. Vielleicht dies:
    Danke für die Arbeit, die du leistest, Danke für das Erleben dieses so liebevollen Paares.
    Sehr gerne schließe ich dich und dieses Paar in mein Gebet ein.

  4. Uta, ich muss noch x dazu schreiben! Ich bewundere all die Menschen, Dich, die im Pflegeberuf tätig sind! Du bist stark und hast selbst schon viel auf Deinem bisherigen Lebensweg meistern müssen für Dich und Deine Beiden, darum beeindruckt mich dein jetziger Weg umso mehr! Behalte die Stärke nichts mit nach Hause zu nehmen! Ich vermute, dass der Patient im Anfangsstadium seiner Krankheit ist, das Ende ist furchtbar und qualvoll. Ich hab es hautnah erlebt und man kann es sich nicht vorstellen. Noch mal, ich wünschte man könnte diese Menschen vorher erlösen!

    • Liebe Elli – hab nochmals Dank für Deine Worte! Ja, ich muss diese bewusste Distanz behalten – sonst kann man diesen Beruf auf Dauer nicht ausüben. Und dafür ist er viel zu schön und man kann geben/bekommt so viel zurück!
      Ich wünschte auch, dass man so unheilbar erkrankten Menschen besser und anders helfen könnte….

  5. Vor einigen Jahren ist jemand aus unserem Bekanntenkreis an ALS verstorben. Die heimtückische Krankheit zeigte sich bei ihm zu Beginn dadurch, dass er einen Finger plötzlich nicht mehr bewegen konnte. Bereits nach einem knappen Jahr und entsetzlich rasantem Verlauf ist er dieser furchtbaren Erkrankung erlegen. Er war ein positiv denkender, hoffnungsvoller, liebenswerter Familienvater in seinen besten Jahren.
    Wenn man zwei Menschen im Angesicht dieser Schwersterkrankung erleben darf, die Liebe und Vertrauen zueinander über diese schrecklich leidvolle Erfahrung stellen können, so bleibt einfach nur noch Bewunderung, wie sie in hoffnungsloser Lage noch miteinander Kraft schöpfen können, um diesen Weg gemeinsam bis zum bitteren Ende durchzustehen.

    • Liebe Gabi, es tut mir so leid für Deinen lieben Bekannten und seine Familie. Diese unumkehrbare Verlauf ist einfach nur schrecklich und die Ohnmacht, die dabei mit geht, lähmt alles. Da war dieses Ehepaar einfach so eine Flamme in der Krankheitsdunkelheit – ich werde sie neimals vergessen und ein kleines Stück in meinem Herzen mit mir tragen.

  6. Oooh Schluck….. da beschreibst Du einen Moment, liebe Uta, den ich gern als heilig bezeichnen würde. In dem Raum und Zeit und alles, alles, was uns Menschen so wichtig erscheint, einfach zusammenschnurrt und nur noch eins übrig bleibt. Das Annehmen dessen, was ist und – die LIEBE. Unabhängig von äußeren Bedingungen. Keine Quantität mehr, nur noch reine Qualität. Verstehen können wir so etwas Großes und Schwerwiegendes ja nicht. Wie auch? Wie sollen wir begreifen, warum Menschen so etwas durchstehen müssen…Kein Fragen mehr, sondern nur noch “es ist, was es ist”.

    • Ich nenne solche Augenblicke ja „warme Momente“ – hab ich auch schon mal einen Blog drüber geschrieben. Sie sind selten, großartig und so kostbar!
      Darüber hinaus gibt es dann tatsächlich dieses Stadium, wo man aufhören kann zu fragen, sondern nur noch gemeinsame Zeit genießt.

  7. Ja, für beide ist alles übrige völlig belanglos geworden, sie haben es längst akzeptiert und damit abgeschlossen. Nun konzentrieren sie sich ganz bewusst auf das Einzige, was für sie wirklich zählt: ihre starken Gefühle füreinander, ihre grenzenlose Vertrautheit und Nähe. Es wird sie nie verlassen, auch über den Tod hinaus nicht.

    • Das ist ja das Schöne, was ich auch glaube – die beiden werden sich für immer lieben und haben. Das war das beste Beispiel, denn sie strahlten das so aus!
      Sicherlich werden sie ihre dunklen Momente, Streit und Trauer haben – aber das Leuchten in den Augen, wenn sie sich angeschaut haben, wird sie auf ewig verbinden.

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