Heute möchte ich Euch eine absolute Heldinnengeschichte von meiner Oma Sofie wiedergeben, die meine Mutter mir immer und immer wieder erzählt und die mich schon von klein auf beeindruckt hat – auch, wenn mir erst jetzt als Erwachsene die Tragweite ihrer Tat so richtig klar und bewusst wird.
Meine Mutter war ein Grundschulkind und kam eines Tages nach dem Unterricht nach Hause. Ihre Mutter stand – wie so oft am Herd und hat gekocht – und fragte ihre älteste Tochter: „Na, was war heute in der Schule los?“ Meine Mutter erzählte ihr dann etwas atemlos, dass mitten in den Unterricht von Fräulein Flecken zwei Männer in SS-Uniform gekommen wären, das Holzkreuz, welches an der Wand hing, abgenommen, zerbrochen und in den Müll geworfen hätten – an die nun leere Stelle an der Wand wurde ein gerahmtes Foto vom Führer gehängt. Und alle Kinder hätten gespürt, dass die noch junge Lehrerin sehr große Angst in dem Moment gehabt habe. Meine Oma hörte sich den Bericht ihrer Tochter an, dann nahm sie meine Mutter an die Hand und ging mit ihr ins Wohnzimmer, wo auf dem Kaminsims ein Foto von Hitler stand – dies war wohl zur damaligen Zeit keine direkte Pflicht, wurde aber stark gewünscht und um sich vor eventuellen Denunzierungen zu schützen, tat man ganz gut, seiner vermeintlichen Loyalität Ausdruck zu verleihen. Meine Oma sagte dann: „Pass auf, Mia – jetzt zeig ich Dir, was man mit denen macht, die sich für größer halten als unseren Herrgott.“ Und damit nahm sie das Hitler-Bild, riss es entzwei und warf es in den brennenden Ofen.

Jedes Mal, wenn ich diese Geschichte wiedergeben darf, durchdringt mich ein heißer Schwall Stolz, dass ich eine Großmutter wie diese gehabt habe, dass ihr Blut auch zu einem großen Teil in meinen Adern fließt.
Und gerade in der heutigen Zeit ist diese Geschichte so wichtig und richtig – um ebenfalls den Mut zu haben, sich gegen den schleichenden Wahnsinn und Hass zu stellen, der leider wieder so vielfältig auf der Welt spürbar ist.
Liebe Uta, einmal mehr habe ich das Gefühl, dass wir ganz schön viele Gemeinsamkeiten haben – von der Liebe zu Juist mal ganz abgesehen!! Und wieder habe ich die Tränen in den Augen, wenn ich von solchen Akten der Zivilcourage wie dem deiner Oma lese oder höre!!
Zu deinem vorletzten Post habe ich schon von meiner Oma Agnes geschrieben und genau diese meine Lieblingsoma war es auch, die mich als Kind und vor allem als Jugendliche mehrmals zur Seite genommen hat, wenn das Thema auf die Nazis und die Judenverfolgung kam, und zu mir gesagt hat: „Kind, lass dir niemals erzählen, wir hätten es nicht alle gewusst!! Alle haben es gewusst, was mit den Juden passiert, wenn sie abgeholt werden, aber nur der Peter (ihr Bruder) hat das Maul aufgemacht gegen dieses Unrecht und DESHALB ist er im KZ umgekommen! Lass dich nicht belügen, begehre auf gegen Unrecht!“ Das Schicksal dieses Mannes hat meinen Vater und mich sehr geprägt und immer mehr oder weniger stark bewegt. Puhhh, meine Oma war so eine starke Frau, hat im 2. Weltkrieg zwei uneheliche Kinder bekommen und diese gegen alle Vorurteile alleine großgezogen wie ein Löwin … Tagsüber als Schneidermeisterin gearbeitet, die Kinder zum Teil mitgenommen zu den Kunden und ansonsten nachts weitergearbeitet mit all dem an Pflichten und mühsamen Aufgaben, was hier auch schon alles geteilt wurde. Ich habe sie geliebt und liebe sie noch immer!! Nicht zuletzt in wundervolles Vorbild!!
Oh ja – und es klingt, als wären sich auch meine Oma Sofie und Deine Oma Agnes sehr ähnlich gewesen – in ihrer Haltung und in ihrer Stärke. Mein Opa (der Mann von der Sofie) hat auch laut in seinem Garten gesagt: „Mit dem Kerl gewinnen wir den Krieg niemals!“ – er ist von seinem eigenen Schwager verraten worden und nur nicht im KZ gelandet, weil er acht Kinder zu versorgen hatte.
Behalte Deine Oma gut im Herzen und im Gedächtnis, liebe Melanie! Und denk dran: Du hast ganz viel von ihr in Dir drin!
Es ist leider so wie heute, nur dass es solche Menschen wie deine Oma nur wenige gibt …
Das glaube ich gar nicht, liebe Claudia – denn solche Menschen wie meine Oma tun ihre großartigen Taten ja ganz oft im Verborgenen, so wie die in meiner Geschichte… ich glaube fest daran, dass die Guten immer noch deutlich mehr sind!