Passend zum Thema des letzten Artikels habe ich diese schöne Geschichte von Elke Bräunling gefunden, die immer wieder zeigt, dass sie Stimmungen gut einfangen und beschreiben kann:
Ein kleiner Wundermoment im Herbst
Nun hat der Sommer dem Herbst doch Platz gemacht. Es ist kühl geworden und feucht. Oft regnet es auch.
Es fällt dir nicht leicht, dich an das graue Wetter zu gewöhnen. Dir fehlt die Heiterkeit des Sommers, die Sonne, die Wärme. Ein bisschen grollst du auch mit dem Herbst. Du magst ihn nicht. Auch die Menschen, mit denen du es zu tun hast, haben, so scheint es dir, mit dem Einzug der herbstlichen Schlechtwettertage ihre gute Laune ein bisschen verloren.
Übellaunig starrst du aus dem Fenster.
„Auch der Herbst ist schön“, hörst du da ein Stimmchen sagen. „Wir bemühen uns, die Herbstwelt ein bisschen fröhlicher zu machen. Sieh nur!“
Du blickst dich um, kannst aber niemanden sehen.
Da fällt dein Blick auf das Spinnennetz, das sich über Nacht zwischen die Zweige des Rosenstrauchs neben deinem Fenster gelegt hat. Es ist wunderfein gewoben, einem kleinen Kunstwerk gleich.
Tautröpfchen haben sich auf die silbernen Fäden gelegt. Sie erinnern dich an zarte Perlenketten, die sich zu einem Schmuckstück zusammengefügt haben.
Wie schön es ist! Und wie einzigartig!
Du staunst und freust dich an diesem kleinen Wunder. War es die Spinne, die gerade zu dir gesprochen und dich aus deinem Grübeln geweckt hat? Du blickst dich um, kannst sie aber nicht sehen. Schade. Gerne hättest du dich bei der kleinen Meisterin für dieses Schmuckstück bedankt.
„Schade!“, sagst du und beugst dich zu dem Spinnennetz hinüber. Ganz genau willst du es dir ansehen. Faden für Faden für Faden. Und Perlchen für Perlchen für Perlchen.
Wunderschön!
Am liebsten würdest du es vom Strauch pflücken und zu dir ins Zimmer nehmen, damit du es dir immer wieder ansehen kannst. Du überlegst, ob du es malen könntest. Oder fotografieren?
In diesem Augenblick findet die Sonne ihren Weg durch eine Wolkenlücke. Sie schickt ihre Strahlen zu dir ans Fenster und macht das Zimmer hell. Dann wandert sie weiter zum Rosenstrauch an der Hauswand und zu dem Spinnennetz, das ein Schmuckstück ist.
Ein zauberhell glitzerndes, schimmerndes und funkelndes Schmuckstück ist es nun im Glanze des Sonnenscheins.
Silbern strahlen die Spinnfäden, die Perlchen glänzen wie klitzekleine Feuerwerke.
„Schöoon!“, freust du dich. „Wie bist du schön.“
Gar nicht mehr wegschauen kannst du. So groß ist deine Freude über das kleine Wunder.
„Schööön!“, hörst du da das Stimmchen rufen. „Der Herbst ist schön. Wir arbeiten daran!“
„Ja!“, antwortest du. „Wir arbeiten daran! Dankeschön!“
„Bitteschön. Gern geschehn.“
Du lächelst und dir ist, als erwiderte das Spinnennetz-Schmuckstück dein Lächeln.
Dann ist der kleine Wundermoment vorbei. Die Wolken versperren der Sonne wieder den Weg nun und das Spinnennetz ist wieder nur ein Spinnennetz mit Tautropfen, die wie kleine Perlchen aussehen.
Du lächelst. Irgendwann wird sie wieder kommen, die Sonne. Auch der Herbst kann nämlich schön sein. Man muss es nur sehen können … und wollen.
Genau so empfinde ich es auch „wahrnehmen wollen, dann kann man es auch“. Die Natur, der Duft und die Lichtwechsel im Herbst sind so bunt, vielfältig faszinierend und machen uns gefühlt sooo reich. Die „Sommertüre“ geht langsam zu, verhindern können wir es nicht. Also machen wir es uns leichter, indem wir unsere Sommererlebnisse und Hoffnungen erst einmal ohne Bedauern ziehen lassen und uns dem Herbst voll und ganz zuwenden.
Früher hatte ich noch eine ganz andere Einstellung zu den Jahreszeiten (nur Frühling und warme Sommertage waren in meinen Augen das einzig Wahre). Mit den Jahren hat sich das zumindest für mich gewandelt. Ich habe lernen können, nicht nur die Nachteile, sondern vor allem die Vorzüge der nasskühlen Tage bewusst wahrzunehmen. Es tut so gut, sich aktiv auch ab jetzt einmal mehr um die eigenen Bedürfnisse und Vorlieben zu kümmern. Dafür braucht’s keine Sommertage ….. einfach machen und genießen. Schnell finden sich auch andere Interessierte, die der langsam beginnenden Jahreszeit vieles für sich abgewinnen können. Ich sehe es nun zum Glück als großartige Chance und bin sehr dankbar dafür. :-))
Und das ist ja auch eine echt tolle, sehr weise und entspannte Haltung, liebe Gabi – von der ich mir noch ne dicke Scheibe abschneiden kann! 🙂