Der Inhalt der Schatztruhe

Wir alle sind in der Vergangenheit verletzt, gedemütigt, beleidigt, verlassen, betrogen, hintergangen, belogen und enttäuscht worden – unser aller Seelen tragen Narben, alte und frische Wunden mit halbherzigen Pflastern verbunden oder schön abgeheilt. Ich denke, wie weit sich so eine Seele wieder erholt (davon mal abgesehen, dass ja auch immer wieder neue Verletzungen dazu kommen), hängt von mehreren Faktoren ab: wie tief der Schmerz sitzt, wie lange die Seele ihm ausgesetzt war und wie man letztendlich damit umgeht.

Wie ja im letzten Artikel erwähnt: man kann nicht „daran arbeiten“, denke ich. Sicherlich kann man vieles dafür tun, dass es einem wieder besser geht – viel Achtsamkeit, eine Psychotherapie, mit guten Freunden sprechen, mit einem ausgebildeten Coach arbeiten und vieles, vieles mehr. Das kann auf jeden Fall dazu führen, dass man neue Wege erkennt, dass man Ideen entwickeln kann, wie man wieder näher an sich selbst rückt und eine Strategie gegen alte Verhaltensmuster findet.

Aber die Vergangenheit – das, was mit uns passiert ist, die Umstände, Personen, die uns nicht gut getan haben – lässt sich nicht ändern. Ich kann aus meinen schmerzvollen Erinnerungen, aus meinen Gedanken an eine sehr schwere Zeit und den Rückblick auf dunkle Stunden durch einen neuen Farbanstrich oder durch gefühlsmäßiges Umbauen keine „neue Vergangenheit“ basteln.

Das, was mies gelaufen ist, ist eben mies und wird auch für immer mies bleiben.

Und wenn dies jetzt auch so negativ und hoffnungslos klingt: ich denke, das genau diese Erkenntnis ganz viel Erleichterung bringen kann.

Mich persönlich hat der Gedanke, dass ich noch so viel zu verarbeiten habe und ich keinen Ansatz, keinen Anfang und kein Konzept dafür gefunden habe, stets gelähmt. Ich fühlte mich unfähig und unzulänglich – ich, die große Power-Frau Uta, die alles packt, immer mit einem Lächeln funktioniert und jeden Stier pfeifend bei den Hörnern packt, wird mit ihrem eigenen „kleinen Schatzkistchen“ nicht fertig?!?

Nun weiß ich – und das fühlt sich sehr befreiend an – es stimmt: ich werde damit nicht fertig, weil man mit seinem vergangenen Leben eben nicht abschließen kann. Es gehört zu einem wie der rechte Arm, der Blinddarm oder die Nasenlöcher. Und man ist nicht in der Lage, das von der Seele abzuspalten.

Was man allerdings tun kann, ist: gnädig mit sich selbst sein, sich die Fehler, die man vermeintlich oder offensichtlich gemacht hat, verzeihen – und neben traurigen Blicken zurück (die völlig okay sind) kann man den Fokus auf das Hier und Jetzt legen: auf die Tage, die wieder länger werden, auf die ersten Schneeglöckchen, auf eine liebevolle Geste, die man bekommt, auf schöne Post, die im Briefkasten liegt, auf das Lächeln eines Fremden, der einem entgegenkommt, auf die ersten warmen Sonnenstrahlen oder, oder, oder… es gibt so viele Dinge, Menschen und Situationen, die unser Herz im schönsten Sinne berühren können.

Wer sie in die Seele lässt, macht sich selber glücklich und hüpft…

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Liebe Uta,
    dies ist ein für mich sehr passendes Thema. Mir wird gesagt, jetzt ist es doch schon so und so lange her, jetzt müsste es doch mal gut/besser sein….
    Für mich wird es aber nicht gut, denn die Entscheidung, die getroffen wurde, war nicht meine und Dinge, die passiert sind, werden ja in einem, zwei oder drei Jahren nicht anders oder besser. Nicht zu oft zurückzublicken, fällt mir noch sehr schwer aber es gibt nun schon ein paar Dinge, auf die ich mich freue….
    Ich wünsche Dir für Deine „Schatzkiste“ Kraft….

    • Liebe Ute,
      ich finde, niemand – selbst die beste Freundin oder der Partner – hat das Recht, einem zu sagen, wann der Schmerz seine Berechtigung verliert. Das tut er nämlich nie… Wenn man arg verletzt wurde, dann trauert man eben – und wieviel Zeit man dafür braucht, entscheidet man komplett selbst!
      Nimm Dir alle Zeit der Welt dafür!!!

  2. Hallo Uta,
    alles was du schreibst stimmt voll und ganz.👍🏽
    Habe gestern den Film „Wind River“ gesehen, da verliert ein Mann seine Tochter und der Freund sagt ihm: du musst dich dem Schmerz stellen sonst verlierst du die Erinnerung an deine Tochter. Weiche dem Schmerz nicht aus und betäube ihn nicht, egal wie es weh tut, stelle dich dem Schmerz nur so kannst du weiterleben.
    Ist mir gerade so eingefallen und ist ja ähnlich wie das was du schreibst. Das was passiert ist ist passiert, ändern oder schön reden funktioniert nicht, also annehmen und den Schmerz (Ärger, was auch immer) aushalten, dann wird er irgendwann weniger.
    Ich weiß aus eigener Erfahrung das es so funktioniert.
    LG Claudia

    • Liebe Claudia,
      stimmt – die Sätze aus dem Film passen ziemlich gut. Ich denke auch immer, dass man sich seinem Schmerz stellen sollte – aber das entscheidet jeder für sich: wie lange, in welchem Ausmaß und wieviel man aushalten kann.

  3. Vorhin wurde in dem Buch, das ich derzeit lese, eine Szene beschrieben, die ich sehr schön und passend zu unserem Thema finde: Es ist kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs . Vorfrühling in einer völlig zerstörten Großstadt. Eine Frau schiebt in ihrer Wohnung den Küchenstuhl ans Fenster, steigt darauf und streckt sich mit aller Kraft so auf ihren Zehenspitzen, dass sie nicht nur Schutt und Asche unten auf den Straßen sieht, sondern dazu auch das Glitzern der allerersten Sonnenstrahlen, die sich in der Ferne im Fluß spiegeln…….. Schön, oder ?! Das ist wohl die Lebenskunst, die wir erlernen sollten, wenn wir trotz aller Tiefschläge, Ruinen und Narben auch Schönheit und Sinn auf unserem Weg erfahren möchten.

    • Sehr schöne Szene, die Du da beschreibst – und passt sehr gut auf mein Thema… Manchmal muss man sich tatsächlich etwas anstrengen und verbiegen, um das Schöne des Lebens noch zu sehen – aber dann geht es irgendwann auch wieder leichter!

  4. Liebe Uta,
    genauso ist es! Diese Dinge die geschehen sind, die gehören zu uns untrennbar dazu. Wir können lernen damit irgendwie umzugehen, aber es ändert nichts daran, dass sie geschehen sind und uns unser Leben lang begleiten.
    Als ich gerade 18 war, hat sich ein lieber Freund (meine erste große Liebe) das Leben genommen. Das ist nun mehr als 40 Jahre her und immer wieder gibt es Tage, wo mich das traurig macht. Tage, wo ich den Schmerz besonders spüre. Das ist auch genauso mit meinem beiden Sternenkindern – manchmal tut es einfach ganz dolle weh ….
    Trauer kennt keine Zeit und kein „es-muss-ja-irgendwann-mal-gut-sein“ – Trauer hat ihre eigenen Gesetzte.
    Genauso ist es mit Dingen die uns verletzt haben, die uns „passiert“ sind, die uns klein gemacht haben oder oder oder ….. sie sind immer da – irgendwo im Untergrund und kommen bisweilen an die Oberfläche und sind dann mal wieder ganz präsent – genauso wie eine alte Narbe die zwar verheilt ist, aber z.B. beim Wetterumschwung schmerzt.

    Mir fallen dazu auch wieder die ungeweinten, heruntergeschluckten Tränen ein – auch die wollen irgendwann ans Licht und dann gibt es kein halten mehr, dann rinnen die Tränen einfach.

    Das für mich anzunehmen und ernst zu nehmen war ein weiter Weg!
    Ich glaube du hast recht damit, dass diese Dinge in ein Schatzkästchen gehören – auch wenn ich das anfangs nicht so sehen konnte (du erinnerst dich sicher) . Ich glaube, dass diese Dinge mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich heute bin. Ohne diese Erfahrungen die untrennbar zu mir dazu gehören, wäre ich eine andere Anna ….. und ich glaube, die möchte ich gar nicht sein …..

    Hm, ich hoffe, das war jetzt nicht zu verwirrend und vom Thema weg ….
    Herzliche Grüße Annegret

    • Liebe Annegret,
      war gar nicht verwirrend – und passte doch absolut zum Thema. Tut mir sehr leid mit Deinem besten Freund – es ist immer schwer, Menschen zu verlieren, die man liebt – und auf dieser Art und Weise erst Recht. Das sind Wunden, die wohl leider immer wieder aufreißen.
      Ich bin froh, dass die Welt GENAU DIESE Annegret hat – denn ohne sie wäre sie ein dickes Stück ärmer, dunkler und grauer…!!!

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