Die Geschichte meines Lebensretters

Im Zuge der sehr interessanten Geschichte mit der Stunde auf der Bank und der 1 Stunde, die man dort mit der Person seiner Wahl sitzen könnte (siehe Artikel Mitte Mai), hatte ich Euch ja schon von dem Menschen kurz erzählt, mit dem ich diese Zeit gerne mal dort sitzen würde.

Diese Person sollte mein Bruder sein – und zwar nicht der, der quicklebendig und von mir sehr geliebt in Rio de Janeiro wohnt – sondern mein Bruder Johannes, der zwei Jahre vor mir auf diese Welt gekommen ist. Und von dem möchte ich Euch heute berichten, denn er verstarb bereits im Bauch meiner Mutter und hat mir damit mein Leben geschenkt.

Als meine Mutter zum ersten Mal schwanger war – nämlich mit Olaf, entdeckte man eine große Zyste an ihrem Eierstock, die operativ entfernt werden musste. Als die Geburt meines Bruders bevorstand, hatte man entschieden, ihn per Kaiserschnitt zu holen, da die besagte OP-Narbe für eine normale Geburt noch zu frisch war. Zwei Jahre später zeugten meine Eltern ein weiteres Kind – Johannes, der ein sehr lebhaftes Kind in ihrem wachsenden Bauch war. Im 8. Monat spürte meiner Mutter plötzlich keine Kindsbewegungen mehr und der Arzt stellte per Ultraschall fest, dass mein Bruder sich in ihr selber mit der Nabelschnur stranguliert hatte. Man versuchte, die Geburt auf natürlichem Wege einzuleiten – was aber erfolglos blieb und so wurde auch mein armer toter Bruder per Kaiserschnitt auf die Welt gebracht. Ich kann gar nicht ermessen, was dieser Verlust für meine Eltern bedeutet hat…

Zumal man ihnen aus ärztlicher Sicht dann auch von einer weiteren Schwangerschaft abgeraten hat: drei Kaiserschnitte hielt man zum damaligen Zeitpunkt noch für viel zu gefährlich und so hatten meine Eltern sich schon um eine Adoption bemüht. Als sie bereits einen kleinen Jungen in Aussicht hatten, setzte der Dickkopf meiner Mutter sich glücklicherweise durch und sie wollte den weiteren Versuch eines eigenen Kindes wagen. Unter sehr vorsichtigen Bedingungen und mit einigen Entbehrungen hat dieser dann ja auch geklappt und ich bin als gesundes, wildes und fröhliches Mädchen auf diese Welt gekommen – was ich sicherlich nicht getan hätte, wenn meine Eltern per Kaiserschnitt bereits zwei lebendige Kinder bekommen hätten.

Johannes hat mir mit seinem Tod also wirklich das Leben ermöglicht. Warum es so passiert ist – das kann niemand beantworten. Da ich aber jetzt mehr und mehr Kontakt zu ihm aufnehme und mir ganz sicher bin, dass ich ihm eines Tages – wahrscheinlich aber erst, wenn ich ebenfalls gestorben bin – auch wirklich begegnen werde, wird es auch dann irgendwie eine Antwort für mich geben.

Im nächsten Artikel werde ich darüber berichten, warum mein Platz in meiner Familie aufgrund des Todes von Johannes zwar vorhanden – aber bis vor zwei Jahren ein ganz falscher war…

 

12 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich mag jetzt gerade nicht viel dazu schreiben – das geht mir (aus dir vermutlich bekannten Gründen) gerade sehr nahe. Aber ich möchte dir danken, dass du diesem Thema Raum gibst – für alle Sternenkinder, für alle zurückgebliebenen Mütter, Väter, Schwestern und Brüder.
    Danke dir von Herzen!
    Liebe Grüße Annegret

  2. Hallo Uta,
    Ich habe meine älteste Schwester auch als Sternenkind im Himmel . Sie ist mein Schutzengel und kam als Totgeburt auf normalem Wege bei unserer Mutter zur Welt. Ich glaube das haben meine Eltern nie wirklich verarbeitet. Sie haben es immer verdrängt. Meine Mutter hat mir erst spät davon berichtet und einen Namen hatten sie Ihr nie gegeben, was ich ganz schrecklich fand. In meinen Therapien habe ich dann über meine Schwester sprechen können und gab Ihr den Namen Maria. Sie ist das erste Kind meiner Eltern und ich das Dritte. Das zweite Kind ist meine andere Schwester zu der ich leider keinen Kontakt habe.

    • Liebe Susanne,
      das klingt alles ganz schön traurig, was Du zu diesem Thema schreibst. Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du Maria immer ganz nah bei Dir spürst. So schön, dass Du sie als Deinen Schutzengel empfindest.

  3. Liebe Uta, eben noch geschmuzelt über deinen Instagram Beitrag und jetzt… habe ich einen Kloß im Hals.
    Die Trauer aller Eltern von Sternenkindern kann nur betroffen machen.
    Wenn ein Familienmitglied in den Himmel geht, wird die Lücke nie geschlossen.
    Wie gut das wir hier auf der Erde dafür schon Trost in Musik finden und wenn dann aus unseren Lieben Schutzengel werden, das ist Tröstung von ganz oben.
    Ich wünsche dir schöne Stunden mit deinem Bruder auf der Bank, — meiner mit 52 Jahren verstorben, gehört zu meinen Schutzengeln.
    Liebe Uta, fühl dich umarmt von
    Dagmar

    • Liebe Dagmar, das Thema „Engel“ habe ich auch schon im Kopf… dazu werde ich hier im Blog demnächst auch noch einiges schreiben. Sehr schön, dass Du so wunderbare an Deiner Seite hast, die über Dich wachen…

  4. Liebe Uta, DANKE für Deine Offenheit und dass Du uns die Geschichte von Deinen beiden Brüdern, Deinen Eltern und Dir erzählt hast! Ich schicke Dir eine Umarmung dafür!

  5. Hallo liebe Uta,

    Danke für diese Geschichte. Ich hatte beim Lesen Tränen in den Augen. Du weißt ja, dass auch wir seit Ende Januar ein Sternenkind haben. Sie passt jetzt vom Himmel aus auf uns Eltern und die Geschwister auf. Manchmal laufen Dinge leider aus dem Ruder und völlig anders als geplant. Es ist schön, dass du deinem Bruder Raum geben kannst. Auch ich wünsche mir, dass unsere Tochter einen festen Platz in der Familie erhalten wird.

    Mit einer lieben Umarmung von Ute

    • Liebe Ute,
      ja, ich musste bei meiner Geschichte oft an Euch denken – und habe gehofft, dass ich Euch damit nicht Zuviel zumute… !!!! Aber ich habe mir auch gedacht, dass es ja auch helfen kann, wenn man merkt, dass man mit der Traurigkeit nicht alleine da steht.
      Eure Tochter hat den festen Platz in der Familie schon – und dank Euch wird sie diesen auch immer haben, da bin ich ganz sicher!

  6. Hallo Uta,

    ich lese schon eine ganze Weile still mit. Zu diesem post von dir möchte ich etwas beitragen.
    Es betrifft mich nicht persönlich, doch ich bin ein großer Fan von van Gogh und habe einige Biografien über ihn gelesen:
    Er wurde ein Jahr, auf den Tag genau, nach seinem verstorbenen Bruder geboren und trug sogar denselben Namen: Vincent. Das ist für ein Kind und vielelicht später auch für den Erwachsenen eine schreckliche Bürde, oder nicht?
    Liebe Grüße von Ulla

    • Liebe Ulla,
      wie schön, dass Du hier bist! Vielen Dank für Deinen ersten tollen Kommentar!
      Ich mag van Gogh auch sehr – diese Geschichte aus seinem Leben kannte ich allerdings noch nicht – und es stimmt: das macht einmal mehr die Tragweite eines solchen Schicksals klar und erklärt vielleicht mit ein wenig, warum dieser begnadete Maler oftmals so unglücklich war und sich so deplatziert gefühlt hat.

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