Themenwoche Wut – woher kommt die?

Da möchte ich zunächst den amerikanischen Therapeuten Robert August Masters zitieren, der schreibt:

„Die meisten von uns verwechseln Wut mit Aggression, das ist schon mal das Erste. Aber Wut, in ihrer reinen Form, ist eine verletzliche Emotion. Sie ist eine Art zu zeigen, dass einem etwas wichtig ist und dies energetisch zu betonen. Das ist keine Scham und keine Beschuldigung, nur Feuer. Es ist eine Energie, die eine Beziehung vertieft, wenn sie gut aufgenommen wird. Aggression sieht in manchen Fällen ähnlich aus wie Wut. Aber da ist keine Verletzlichkeit und sie möchte den anderen verletzen. Und wenn wir das bis zum extrem ausreizen, sind wir bei Gewalt. Die muss nicht physisch sein, sondern kann auch emotional ablaufen. Und wegen all dem hat Wut einen schlechten Ruf.“

Master geht noch weiter und ist der Meinung, dass ein Mensch, der aggressiv wird, versucht, seine Wut zu verdrängen. Wut ist immer gepaart mit anderen Gefühlen wie Mitgefühl, Trauer, Verletzlichkeit…

Und wenn ich so drüber nachdenke, dann hat er Recht: Mich machen zum Beispiel Situationen wütend, die ich selber als ungerecht empfinde – ob jetzt gegenüber mir oder gegenüber anderen.

Eine bestimmte Haltung anderer Menschen macht mich wütend: wenn sie sich manipulieren lassen in einer Form, die nichts mehr mit gesundem Menschenverstand zu tun hat, wenn also pauschale Urteile über andere gefällt werden, weil sie eine andere Religion, Hautfarbe oder Herkunft haben – das macht mich rasend.

Es gibt also zwei Formen der Wut – ganz sicherlich gibt es tausende, aber diese grobe Unterscheidung kann ich für mich treffen:

1.) Es gibt die Wut, die mich nicht im Innersten persönlich betrifft – wo ich auf die Welt wütend bin. Auf die Dummheit, auf die Ignoranz, auf den Starrsinn, auf die Boshaftigkeit.

und

2.) Es gibt die Wut, die aus mir selber herauskommt, weil ich mich verletzt fühle. Weil man meine Seele angegriffen hat, meine innere Wunde (die hier ja schon mal Thema war) berührte.

Die erste Form der Wut ist wahrscheinlich schneller verraucht, weil sie einen nicht unmittelbar persönlich betrifft, sondern „nur“ den Gerechtigkeitssinn – ist aber das eigene Ego verletzt und wütend, dann geht es innerlich „ans Eingemachte“ – buchstäblich, nämlich eben auch an die aufgestaute Wut.

Deswegen ist es auch wichtig, diese rauszulassen: meine Vorschläge sind dabei sicherlich ganz hilfreich, aber sie helfen nur für den Moment. Der Großteil der ungesagten, geschluckten Wut bleibt in einem drin. Ein richtigen Weg, diesen loszuwerden, habe ich noch nicht gefunden… da bin ich noch auf der Suche.

Am besten wäre es natürlich, wenn man der Wut gar nicht erst die Möglichkeit geben würde, sich in einem festzubeißen. Hat der Partner etwas gesagt, das Dich verletzt, dann mach das deutlich – und auch da macht der Therapeut Master deutlich:

„Während Aggression immer eine angreifende Energie hat, kann Wut, gleichgültig wie feurig sie hervorgebracht wird eine Qualität von Mitgefühl, Verletzlichkeit und Sensibilität in sich tragen, in welcher die Liebe für das Gegenüber nicht verloren geht.“

Ich darf mir also ERLAUBEN, wütend zu sein…

und mit diesem Satz schicke ich Euch nun ins Wochenende, wünsche Euch einen wunderbaren 1. Advent mit Kerzenschein, warmen Tee, Plätzchenduft und Lachen, das von den Wänden widerschallt…

11 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Der Satz „in welcher die Liebe für das Gegenüber nicht verloren geht“ ist ein guter Satz und wie ich finde eine treffende Erklärung 😊.

    Euch allen hier ebenfalls ein schönes Wochenende und einen gesegneten 1. Advent.
    Meine Tochter wird Sonntag 26 🤤 da kommt unsere ganze liebe Familie zusammen (von meiner Seite, mein Mann ist Einzelkind da gibts leider niemanden mehr), wie schön in dieser besinnlichen Zeit.

    Lasst es euch besonders gut gehen.

    • Liebe Bärbel,
      ja, den besagten Satz fand ich für mich auch ganz klasse und er hat mir ziemlich die Augen geöffnet für die Wut und dass man sich diese ruhig mal erlauben kann.
      Hoffe, Ihr hattet einen wunderbaren Geburtstag – so ein Familientreffen ist ja immer etwas Besonderes!

  2. Dankeschön für deine geschrieben Worte. Ich denke das Thema WUT ist für viele Menschen nicht so einfach damit umzugehen. Mir geht es genauso. Aber wenn wir alle ein wenig an uns arbeiten wird es immer besser damit gehen, denn Wut rauszulassen tut gut. In diesem Sinne wünsche ich Dir einen schönen 1. Advent .

  3. Ich würde Wut und Aggression gar nicht trennen, ich denke, sie gehören in eine Gefühlsfamilie, in der sich auch noch Ärger, Enttäuschung, Hass usw. befindet. Aggression kommt uns als so ein böses Wort vor, heißt aber aus dem lateinischen übersetzt einfach nur „herangehen“. Also ist das auch sowas wie „Stellung beziehen“ oder sich gegenüber jemand oder etwas abzugrenzen.

    Alle Gefühle haben Berechtigung, sind „richtig“ und geben uns im Leben wichtige Orientierung. Natürlich will man lieber nur die guten Gefühle da haben. Wut, Trauer oder Ärger sind nicht so beliebt und erzeugen Unbehagen und auch Stress. Gegen den Stress hilft immer Bewegung, vielleicht auch ein Herausschreien. Am besten finde ich es aber immer, solche Gefühle mit anderen zu teilen, also die Gefühle in Worte fassen und jemand erzählen, dann ist man immerhin nicht mehr ganz allein damit.

    Ansonsten, und so mache ich es persönlich auch mit der Angst, lade ich solche Gefühle gern auf mein inneres Sofa ein. Ich sage dann „Guten Tag, Wut! Schön, dass du mich wieder einmal besuchst. Setz dich doch zu mir aufs Sofa und erzähle mir mal, was du so wichtiges zu sagen hast.“ Und dann lass ich sie ganz bewusst da sitzen und scheuche sie nicht weg. Sie geht dann irgendwann von selbst wieder, wenn sie genug Beachtung gefunden hat. Kann manchmal dauern, aber sie geht irgendwann.

    So unangenehm die Wut auch ist, aber sie hat für mich auch eine gute Seite. Sie macht mich irgendwie lebendig. Ich entwickle dann manchmal Kräfte und Kreativität, bin sehr wach, das ist ohne die Wut längst nicht so ausgeprägt.

    Auch von mir einen schönen ersten Advent!

    • Sehr toller Kommentar, liebe Antje… und die Idee mit dem Sofa ist super! Wie genau kann ich mir das vorstellen? Redest Du dann die ganze Zeit innerlich mit „Deinem Besuch“? Oder sitzt er einfach da und verschwindet klammheimlich? Ich find das Bild ziemlich gut – und probiere das bestimmt mal aus! Danke!!!!

      • Liebe Uta,
        das mit dem Sofa ist ein Sinnbild dafür, mich mit der Wut genauer auseinanderzusetzen. Ihr eine Berechtigung zu geben und sie ernst zu nehmen. Und dazu stelle ich mir tatsächlich ein Sofa in meinem Bauch 🙂 vor, auf das sie sich setzen darf, und ich setze mich zu ihr. So als Gegenargument zu dem Impuls, sie möglichst schnell wieder los sein zu wollen.

        Ich glaube, dass alle Gefühle ihre Beachtung haben wollen, weil sie uns etwas wichtiges zu sagen haben. Ich stelle mir sowieso viele Gefühle als kleine Menschen in mir vor, die meistens etwas anderes zu tun haben, als mich zu nerven. Aber wenn sie dann da sind, dann hat das auch einen guten Grund.

        Viele Grüße,
        Antje

        • …hab ich die Frage überhaupt beantwortet? Ja, ich rede auch mit der Wut, und sie antwortet auch. Und dann lass ich sie auch wieder allein da sitzen. Ich merke ja, ob sie bleibt oder geht. Evtl. setz ich mich auch nochmal zu ihr.

          Vielleicht klingt das auch alles ein bisschen abgedreht. Ich hatte schon als Kind eine blühende Fantasie 😉

          Aber mir hilft es. Genauso wie mich an andere zu wenden (Freunde, Familie, Kollegen) und darüber zu erzählen, was mich gerade wütend macht. Dann ist sie nicht mehr nur in mir drin am wüten, sondern muss, um nach draußen gehen zu können, in sozial akzeptable Worte gekleidet werden.

          • Ich finde gar nicht, dass das abgedreht klingt, liebe Antje. Du hast einen wunderbaren Weg für Dich gefunden, Deine Gefühle – und zwar alle! – bei Dir willkommen zu heißen und so ganz klasse mit ihnen umzugehen. Ich find das super – und probiere das demnächst mal aus, wenn ich darf…

  4. Ich finde es total gut, wie Du Dich mit dem Thema WUT auseinandergesetzt hast, liebe Anja. Habe selbst auch ähnliche Gedanken dazu im Kopf/Bauch. Die Situationen, in denen dieses “wilde, archaische Gefühl” in Sekundenschnelle in mir hochschießt, sind so vielfältig – und auch wenn sich Herzklopfen, hoher Blutdruck und Mundtrockenheit immer ähnlich anfühlen, so sollten doch meine Reaktionen möglichst der Situation angemessen sein. Um mich dahin zu erziehen, dass ich authentisch und gleichzeitig aber auch angemessen reagieren kann, muss ich mit mir selbst immer “gut im Gespräch bleiben”. Das setzt natürlich voraus, dass ich mir als gute Freundin und Beraterin vertrauen kann und so im Allgemeinen ganz gut in meiner Mitte ruhe. Dann darf in manchen Fällen mein Killerinstinkt auch mal Oberhand gewinnen und sich laut Gehör verschaffen – in anderen Fällen sagt meine innere Stimme vielleicht: “Mach mal halblang und versuch’, die Wut weg zu atmen – der Einsatz lohnt sich nicht, Mädchen!” Gerade gestern habe ich mit einem hysterischen Kollegen so eine Situation erlebt. Als er anfing, eine endlose lautstarke Schimpftirade am Telefon loszulassen, mit dessen Grund ich rein gar Nichts zu tun habe, – und als ich dann gespürt habe, dass meine eigene Wut anfing, in mir hoch zu kochen, da habe ich einfach den Hörer ganz weit vom Ohr weggehalten und ihn allein in den luftleeren Raum weiterschimpfen lassen. War eine herrliche Situation für mich :-), die ich so zum allerersten Mal praktiziert habe. – Wie Anja ja schon gesagt hat: Gefühle nach außen zu tragen, macht uns lebendig. Als Kinder haben wir das auch gemacht….warum denn jetzt nicht mehr? Und wenn es uns hinterher doch leid tun sollte, dann kann man sich ja immer noch gebührend für das eigene ungerechte oder unangemessene Verhalten entschuldigen, oder! Mein cholerischer Kollege hat es eine Stunde später überschwänglich bei mir gemacht – und ich wusste lustigerweise gar nicht mal genau, wofür genau 😉

    • Sich mit sich selber auseinandersetzen: das ist genau das Zauberwort, denke ich. Und dann gehören eben auch die „unangenehmen Gefühle“ völlig natürlich zu einem und wollen gezeigt, gesehen und gehört werden!

      Dass Du nicht wusstest, wofür sich Dein Kollege entschuldigt, ist doch klar… Du hast ihm ja auch nicht zugehört mit dem Hörer weit weg… 😀

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